Mein ein, mein alles

Angelina Jolie ist sicher die prominenteste Vertreterin einer absolut überschaubaren Gruppe von Frauen, die als Schauspielerin Karriere gemacht haben und nun hin und wieder auch hinter der Kamera stehen. Allenfalls versierten Cineasten sind darüber hinaus auch die Namen der beiden Französinnen Emmanuelle Bercot und Maïwenn bekannt, die im vergangenen Jahr mit ihren Filmen „Standing Tall“ und „Mein ein, mein alles“ in Cannes vertreten gewesen sind. Bercot spielte sogar die Hauptrolle in Maïwenns „Mein ein, mein alles“, der über StudioCanal nun auch für das Heimkino erhältlich ist. In dem Drama überzeugen Bercot und Vincent Cassel als temperamentvolle Ehepartner, die trotz größter Differenzen nicht voneinander loskommen.
Nach einem Ski-Unfall während des Winterurlaubs wird Tony (Emmanuelle Bercot) mit einer komplizierten Knieverletzung in ein Reha-Zentrum eingewiesen, wo sie schon während der Aufnahme von der zuständigen Therapeutin gefragt wird, warum sie wohl den Unfall hatte. Während der schmerzhaften Reha-Maßnahmen hat Tony genügend Zeit, über ihr Leben nachzudenken. Im Mittelpunkt ihrer Rückblicke steht die langjährige Beziehung zum charismatischen Restaurantbesitzer Georgio (Vincent Cassel), der kein Hehl daraus macht, sich früher für schöne Frauen begeistert zu haben, die sein schwach ausgeprägtes Selbstbewusstsein stärken sollten.
Als er Tony in einer Diskothek kennenlernt und sich mit ihr, ihrem Bruder Solal (Louis Garrel) und seiner Freundin bis in den Morgen in seiner Küche quatscht, ist Tony schnell fasziniert von dem Charmeur und beginnt eine leidenschaftliche Beziehung mit ihm. Allerdings ist Tony immer weniger von dem Umstand begeistert, dass Georgio nach wie vor viel Zeit mit seiner Ex-Freundin Agnès (Chrystèle Saint Louis Augustin) verbringt, die einst ein begehrtes Model gewesen ist und seit der Trennung von Georgio vor drei Jahren unter Depressionen leidet. Auch die Heirat und die Geburt ihres gemeinsamen Sohnes scheint die Beziehung nicht mehr retten zu können …
Mit der Charakterisierung ihrer Figuren hat sich Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Maïwenn („Verzeiht mir“, „Poliezei“) nicht besonders viel Mühe gegeben. Trotz der extrem dialoglastigen Inszenierung wirken die Beteiligten in der temperamentvollen Amour fou doch recht grob geschnitzt – hier der allseits begehrte, eher oberflächliche Herzensbrecher, dort die eher vernunftbegabte Rechtsanwältin, deren Eifersucht zerstörerische Züge annimmt, alles verstärkt durch eine labile, aber traumhaft schöne Ex-Frau, die einfach nicht aus Georgios Leben treten will.
Weder die Geschichte an sich noch die Inszenierung warten mit wirklichen Überraschungen auf. Die Stärke des Films liegt einzig in der Kunst, wie Vincent Cassel („Der Mönch“, „Eine dunkle Begierde“) und Emmanuelle Bercot („Hier und jetzt“, „Zwischen den Wellen“) ihre emotional unterschiedlich angelegten Rollen überzeugend verkörpern. Und mehr als die Küchenpsychologie, die eingangs wortwörtlich ins Spiel gebracht wird, hat „Mein ein, mein alles“ dann bei der Auseinandersetzung mit den psychologischen Aspekten der zerstörerischen Beziehung leider auch nicht zu bieten.
Als Wohlfühl-Gegenpol hat die Regisseurin allerdings den Aufenthalt Tonys in der Reha-Klinik etabliert, wo sich die demoralisierte Frau im Kreis meist viel jüngerer, weniger gebildeter Männer mit Migrationshintergrund total wohl fühlt und endlich wieder unbeschwert lachen darf.
"Mein ein, mein alles" in der IMDb

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