Roman J. Israel, Esq. – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit

Die Gilroys sind schon eine Klasse für sich. Nachdem Tony Gilroy als Drehbuchautor für die „Bourne“-Reihe und Filme wie „Michael Clayton“, „Duplicity – Gemeinsame Geheimsache“, „The Great Wall“ und „Star Wars: Rogue One“ ebenso Karriere machte wie als Regisseur („Michael Clayton“, „Duplicity“, „Das Bourne Vermächtnis“), schlägt sein jüngerer Bruder Dan längst in die gleiche Kerbe. Nach Drehbüchern für Filme wie „Freejack“, „Das schnelle Geld“, „The Fall“, „Real Steel“ und „Das Bourne Vermächtnis“ legte er 2014 mit „Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis“ ein imponierendes Regiedebüt mit einem überragenden Jake Gyllenhaal in der Hauptrolle vor. Drei Jahre später folgte eine weitere überzeugende Charakterstudie – „Roman J. Israel, Esq. – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“

Inhalt: 

Für den idealistischen Pflichtverteidiger Roman J. Israel (Denzel Washington) bricht eine Welt zusammen, als sein Kanzleipartner William Henry Jackson, eine der berühmtesten Figuren der Bürgerrechtsbewegung, nach einem Zusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert wird, ins Koma fällt und wenige Zeit später stirbt. Da die Kanzlei sich vor allem für die Unterdrückten und Mittellosen in Los Angeles eingesetzt hat, ist es Israel nicht möglich, die Kanzlei allein weiterzuführen. Dafür sorgt Lynn Jackson (Amanda Warren), die Tochter des Verstorbenen, dafür, dass Israel eine Anstellung in der Kanzlei des ambitionierten Karriereanwalts George Pierce (Colin Farrell) bekommt. Dabei würde Israel viel lieber als Anwalt in der gemeinnützigen Organisation der Gleichberechtigungsaktivistin Maya Alston (Carmen Ejogo) arbeiten, doch ist dort keine bezahlte Stelle verfügbar. Also nimmt Israel, der jeden Buchstaben des kalifornischen Gesetzes auswendig kennt und seine Fälle allesamt auf Karteikarten dokumentiert hat, die angebotene Stelle an und wird von Pierce, einem ehemaligen Studenten von Jackson, mit einigen Strafrechtsfällen betraut, bei denen sich die meist jungen und schwarzen Mandanten auf die von der Staatsanwaltschaft angebotenen Deals einlassen sollen, obwohl dies in überzogen hohe Strafen münden würde. Als einer seiner Mandanten im Gefängnis getötet wird, nutzt Israel das System erstmals in seinem Leben schamlos aus, verpfeift den für den Mord federführenden Derrell Ellerbee (DeRon Horton) und kassiert dafür eine Prämie von 100.000 Dollar in bar. Doch diese unmoralische Tat lastet schwer auf Israels Gewissen… 

Kritik: 

Inspiriert von Sidney Lumets Justizdrama-Klassiker „The Verdict – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ (1982) mit Paul Newman in der Hauptrolle, stellt Dan Gilroys zweite Regiearbeit (zu der er wiederum auch das Drehbuch beigesteuert hat) die eindringliche Charakterstudie eines autistisch veranlagten Anwalts dar, der sein Leben und seine Karriere ganz der Bürgerrechtsbewegung gewidmet hat und seit Jahren an einem Antrag für eine Gesetzesänderung arbeitet, die mit der weithin gängigen juristischen Praxis aufräumen soll, dass Angeklagte statt eines gerechten Prozesses oft einen Deal angeboten bekommen, bei dem das Strafmaß für die begangene Tat immer noch viel zu hoch angelegt ist. Im Mittelpunkt des Dramas steht die Titelfigur Roman J. Israel und damit Denzel Washington, der für seine Darstellung zurecht mit einer Oscar-Nominierung bedacht worden ist. So sicher sich Israel im Wust von Gesetzestexten bewegt, so schwer fällt ihm der Umgang in der realen Welt. Während sein Mentor und Partner William Henry Jackson vor Gericht gekämpft hat, versorgte ihn Israel mit den nötigen Hintergrundinformationen und arbeitete die Strategie aus. 
Mit Jacksons plötzlichen Tod wird Israel auf einen Schlag mit einer ganz anderen Welt konfrontiert. Besonders eindrucksvoll wird der Gegensatz deutlich, als der adrett gekleidete Karrierist George Pierce in Israels Arbeitszimmer kommt und sich über die Karteikarten und Zettelwirtschaft wundert, die Israels juristischer Arbeit zugrunde liegen. Mit einem schlechtsitzenden Anzug, wildem Afro-Look und seinem mit 8000 Songs bestückten iPod wirkt Israel wie ein aus der Zeit gefallener Freak, der vom Richter schon mal wegen Missachtung bestraft wird, weil er partout auf seinem Rechtsverständnis beharrt, von dem der Richter nichts hören will. 
So überzeugend Washington („Training Day“, „The Equalizer“) den kauzigen Pro-Bono-Anwalt auch verkörpert, ist Gilroys Inszenierung nicht ganz so packend ausgefallen. Der moralische Konflikt und der daraus resultierende Offenbarungseid, mit dem der Film auch eröffnet wird, gerät bei den Nebenhandlungen, den Auftritten im Gefängnis und vor Gericht und den Treffen mit Pierce einerseits und Maya andererseits fast schon in den Hintergrund, so dass sich die Charakterstudie eher schleppend entwickelt und durch die Verschachtelung der Handlung an Intensität einbüßt. Doch die Oscar-reife Darstellung von Denzel Washington, die ebenfalls überzeugende Performance von Colin Farrell („Der Einsatz“, „Brügge sehen… und sterben?“), die edle Kameraarbeit von Robert Elswit („There Will Be Blood“, „Good Night, and Good Luck“) und der jazzig angehauchte Score von James Newton Howard („Nightcrawler“, „Michael Clayton“) machen Dan Gilroys zweite Regiearbeit dennoch sehenswert. 

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