Anomalisa

Unter dem Namen Franics Fregoli hat der gefeierte Drehbuchautor Charlie Kaufman („Being John Malkovich“, „Adaption“) bereits 2005 ein Bühnenstück namens „Anomalisa“ geschrieben, das er mit Hilfe einer Kickstarter-Kampagne nun auch als Stop-Motion-Trickfilm zusammen mit Duke Johnson realisiert hat. Im Vergleich zu seinen früheren kopflastigen Werken wirkt „Anomalisa“ ungewohnt konventionell, fasziniert aber neben der beeindruckenden Tricktechnik auch durch die subtil angedeutete philosophische Ebene.
Bestseller-Autor Michael Stone (Originalstimme: David Thewlis) reist nach Cincinnati, um dort im Rahmen eines Costumer-Service-Kongresses einen Vortrag zu halten. Er steigt in dem Business-Hotel „Fregoli“ ab, telefoniert kurz mit seiner Frau und ruft einer Eingebung nach und um seine Einsamkeit und Langeweile zu vertreiben, seine alte Liebe Bella (Tom Noonan) an, die er vor zwölf Jahren unvermittelt verlassen hatte. Während Bella die Trennung noch immer nicht verwunden hat, ist Michael vor allem auf ein Stelldichein in seinem Hotelzimmer aus, was Bella wütend das Weite suchen lässt. Auf der Suche nach einem Freund, der auch auf dem Kongress sein soll, lernt Michael die junge Kundenbetreuerin Lisa (Jennifer Jason Leigh) kennen, die sich als großer Fan seiner Werke entpuppt und sich nach einigen Drinks mit auf Michaels Zimmer nehmen lässt.
Weil Lisa so anders ist als alle Frauen, die Michael bislang kennengelernt hat, nennt er sie zärtlich Anomalisa und träumt von einer gemeinsamen Zukunft mit ihr …
Auch wenn Kaufman und Johnson in ihrem Trickfilm weder neue filmtechnische Errungenschaften noch eine außergewöhnliche Story präsentieren, strahlt „Anomalisa“ von Beginn an einen besonderen Reiz aus. Allein die Taxifahrt vom Flughafen bis zum Hotel ist mit überzeugenden realistischen Effekten gespickt, und die Art und Weise, wie Michael und Lisa ihre erste romantische Liebesnacht miteinander verbringen, ist erfrischend inszeniert. Dass in dieser so normal erscheinenden Welt aber nicht alles in Ordnung ist, wird dem Zuschauer nur in wenigen Momenten offenbart, wenn Michael etwa buchstäblich sein Gesicht verliert und in anderen Einstellungen deutlich wird, dass die Gesichter wie aufgesetzte Masken wirken.
Ebenso kurios wirken Michaels Gang in das Büro des Hotelmanagers, die endlos langen Korridore des Hotels, die gleich modellierten Gesichter und klingenden Stimmen aller anderen Menschen um Michael und Lisa herum. Dabei bleibt es dem Zuschauer überlassen, inwieweit er vertraute Themen aus dem Kaufman-Universum wiedererkennt, etwa die Wahrnehmung von Individualität und Liebe. „Anomalisa“ wird aus Michael Stones Perspektive erzählt und lässt den Protagonisten von Beginn an in einem wenig schmeichelhaften Licht erscheinen. Seine Popularität nutzt der Kundendienst-Guru schamlos aus, um die Frauen seines oberflächlichen Begehrens ohne große Verführungskünste ins Bett zu kriegen. Doch schon am nächsten Morgen weist er seine vermeintlich geliebte „Anomalisa“ wegen Kleinigkeiten zurecht.
Bei der Adaption des Bühnenstücks, das im Rahmen von Carter Burwells Reihe "Theater of the New Ear" entstanden ist, hat Kaufman mit David Thewlis („Legend“), Tom Noonan („Damages – Im Netz der Macht“) und Jennifer Jason Leigh („The Hateful 8“) nicht nur auf die Darsteller des Theater-Stücks zurückgegriffen, sondern auch auf die Musik von Carter Burwell und einen ungewöhnlichen, mehrdeutigen Trickfilm über allzu menschliche Wahrnehmungen und Vorstellungen kreiert.
"Anomalisa" in der IMDb

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