Manderlay

Sowohl mit seiner „Europa“-Trilogie als auch mit der nachfolgenden „Golden Heart“-Trilogie hat sich der stets provozierende, neue Erzähl- und Inszenierungsformen erforschende dänische Filmemacher Lars von Trier zwar jeweils einem bestimmten Themenkomplex gewidmet, in den einzelnen Filmen der Dreier-Konstellationen aber immer wieder neue ästhetische Konzepte angewendet. Mit der „Amerika“-Trilogie nimmt sich von Trier allerdings der kohärenten Form des Theaters an, so dass die ersten beiden Werke – „Dogville“ und „Manderlay“ – wie aus einem Guss wirken. Allerdings übernimmt in „Manderlay“ nun Bryce Dallas Howard die Rolle von Nicole Kidman aus „Dogville“

Inhalt: 

Im Jahr 1933 machen sich Grace Margaret Mulligan (Bryce Dallas Howard) und ihr Vater (Willem Dafoe) auf den Heimweg nach Denver, nachdem sie das bis auf die Grundmauern abgebrannte Dorf Dogville hinter sich lassen mussten. Da während ihrer Abwesenheit konkurrierende Gangster die Geschäfte übernommen haben, sind Grace’ Vater und seine Handlanger auf der Suche nach einem neuen Gebiet, in dem man sesshaft werden könnte. Als die Wagenkolonne zufällig im US-Bundesstaat Alabama vor einem großen verschlossenen Eisengatter pausiert, rennt eine junge Schwarze von dem Anwesen Manderlay auf das Auto zu und bittet um Hilfe. Grace verlässt entgegen der Anweisung ihres Vaters den Wagen und folgt der jungen Frau durch das Tor von Manderlay. Hier trifft Grace auf eine Gruppe von Menschen, die so leben, als sei die Sklaverei siebzig Jahre zuvor nicht abgeschafft worden – mit weißen Herren und schwarzen Sklaven, die auf den Baumwollfeldern der Plantage arbeiten müssen. Für Grace bietet sich dort ein unfassbares Bild. Ein junger Schwarzer, Timothy (Isaach de Bankolé), ist zwischen zwei Zaunpfosten angebunden worden und wird von einem weißen Aufseher ausgepeitscht. Grace gibt ihm die Anweisung, damit aufzuhören, um kurze Zeit später mit der Besitzerin der Plantage konfrontiert zu werden, einer alten Lady (Lauren Bacall), bekannt als Mam. Als die alte Dame stirbt findet Grace heraus, dass die Plantage nach dem handgeschriebenen Buch geführt wurde, das die Sterbende Grace mit der Bitte seiner Vernichtung übergeben hatte und als „Mams Gesetz“ einen Verhaltenskodex sowie eine Beschreibung der Sklaven auf Manderlay enthält. 
Grace sieht sich bald in der Pflicht, das den Sklaven durch die Weißen widerfahrene Unrecht wiedergutzumachen, und beschließt, in Manderlay zu bleiben, bis die nunmehr ehemaligen Sklaven ihre erste eigene Ernte eingeholt haben. Ihr Vater hält von ihrer Idee gar nichts und beschließt, Manderlay ohne sie zu verlassen. Zu ihrer Unterstützung lässt er ihr aber fünf seiner Handlanger vor Ort. Sie widmet sich nun voller Tatendrang der Aufgabe, das Vertrauen der Schwarzen zu gewinnen. Aber anstatt mit Kraft und Einsatz geht sie mit Geduld und Zurückhaltung vor, um den Bewohnern von Manderlay den Demokratiegedanken und die Selbstverwaltung allmählich näher zu bringen. 
Doch die unzulängliche wirtschaftliche Handhabung der Plantage führt zu einer Hungersnot, die künstlich zur Maxime erhobene Demokratie scheitert und katapultiert sie selbst in eine Position, in der die Retterin zur Gefangenen ihrer eigenen Befreiung wird, und nicht zuletzt verfängt sie sich in den unbewussten Stereotypen der geschlechtlichen schwarz-weiß Beziehungen… 

Kritik: 

In „Dogville“ ließ Lars von Trier Nicole Kidman als Grace im gleichnamigen kleinen wie gemeinen Dörfchen am Rande der Rocky Mountains erst leiden, um dann umso grausamer Rache nehmen. Von „Dogville“ führt der Weg für Grace nun nach Manderlay, das nicht von ungefähr auf den Landsitz in Daphne du Mauriers von Alfred Hitchcock verfilmten Roman „Rebecca“ verweist. Von Trier ließ sich zudem von Pauline Réages unter Pseudonym 1954 veröffentlichten Skandalroman „Geschichte der O“ über eine Pariser Mode-Fotografin inspirieren, die aus der sexuellen Unterwerfung ihre sexuelle Befriedigung schöpft. Doch am prägendsten dürfte die wahre Begebenheit aus dem Jahre 1838 auf der karibischen Insel Barbados gewesen sein, nach der schwarze Sklaven mit ihrer neu gewonnenen Freiheit nichts anzufangen wussten und ihren ehemaligen Herren darum baten, wieder für ihn arbeiten zu dürfen, um ihn dann, nachdem er sich weigerte, zusammen mit seiner Familie zu töten und ihre Arbeit verrichteten, als sei nichts geschehen. 
Von Trier arbeitete wie in „Dogville“ mit einer nach allen Seiten offenen Theaterbühne, auf der das schmiedeeiserne Tor stellvertretend für den gesamten Zaun des Anwesens und einzelne Wandfragmente für die Hütten stehen, in denen sich die Schwarzen mit ihrer neuen Herrin Grace aufhalten, deren gutgemeinten Versuche, die Schwarzen zu demokratisch und freiheitlich denkenden Menschen zu machen, leider fürchterlich daneben gehen. 
Der dänische Filmemacher thematisiert mit eindringlicher Symbolik die Grundfragen gesellschaftlicher Konstellationen von Demokratie und Willkür, Freiheit und Gesetz und spielt genüsslich mit dem europäischen Blick auf den Rassismus in den USA. Das ist ihm nicht so eindringlich gelungen wie in dem dreistündigen Meisterwerk „Dogville“, aber das liegt nicht nur an Bryce Dallas Howard, die durch ihre Hauptrollen in den beiden Shyamalan-Filmen „The Village“ und „Das Mädchen aus dem Wasser“ gerade den Höhepunkt ihrer Karriere erlebte und eben nicht die Klasse einer Nicole Kidman aufweist, sondern auch an der schlichten Wiederholung des künstlerischen Konzepts von „Dogville“.

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