Das Verhör

Seit seinem Langfilmregiedebüt mit dem romantischen Drama „Unser Weg ist der beste“ (1976) hat sich der Filmemacher Claude Miller (1942-2012) als einer der interessantesten Regisseure in Frankreich etabliert. Vor allem die in den 1980er Jahren entstandenen Filme „Das Verhör“ (1981), „Das Auge“ (1983), „Das freche Mädchen“ (1985) und „Die kleine Diebin“ (1988) sind auch hierzulande unter Millers Arbeiten im Gedächtnis geblieben. Mit „Das Verhör“ verarbeitete Miller einen Roman von John William Wainwright und ließ Michel Audiard die messerscharfen Dialoge ausarbeiten. 

Inhalt:

An einem Silvesterabend begibt sich der angesehene Notar Jerome Martinaud (Michel Serrault) zum Polizeirevier von Cherbourg, um den Beamten einige Fragen zu beantworten. Der erfahrene Inspektor Antoine Gallien (Lino Ventura) und sein jüngerer Kollege Marcel Belmont (Guy Marchand) untersuchen die grausamen Sexualmorde an zwei kleinen Mädchen. Martinaud entdeckte eines der Opfer, als er mit dem Hund seines Nachbarn spazieren ging, und soll deswegen nochmals vernommen werden. Er hat auch in der Nähe des anderen Tatorts am Strand seinen Wagen abgestellt, wo das andere Mädchen aufgefunden wurde. Es bleibt jedoch nicht bei einigen ergänzenden Auskünften. 
Stattdessen entwickelt sich zwischen dem geduldigen, aber hartnäckigen Gallien und dem aalglatten Notar ein verbaler Schlagabtausch, in dessen Verlauf immer deutlicher wird, dass Gallien in Martinaud nicht bloß einen Zeugen, sondern einen Verdächtigen sieht, den er schließlich sogar vorläufig verhaftet. Obwohl der im vornehmen Smoking gekleidete Notar kaum eine Antwort schuldig bleibt, zerbröselt seine gutbürgerliche Fassade nach und nach unter dem Druck der Befragung. 
So besteht seine Ehe wohl nur noch auf dem Papier und seine zunächst durchgängig sehr gewählte Ausdrucksweise ist jetzt gelegentlich von Begriffen aus der Vulgärsprache durchsetzt. Aber auch Gallien blickt zunehmend grimmig drein und geht von der respektvollen Anrede „Maître Martinaud“ zum bloßen „Martinaud“ über. Und als Gallien zum Rapport beim Polizeichef ist und von diesem zu größtmöglicher Zurückhaltung ermahnt wird, wird sein Assistent Belmont gegen den Notar sogar handgreiflich. Das Verhör wird daraufhin mit einem anderen Protokollführer fortgesetzt, bis Martinauds Frau Chantal (Romy Schneider) auf dem Polizeirevier erscheint. Sie eröffnet Gallien unter vier Augen, dass sie ihren Mann für den Täter hält, und liefert auch einen Beweis für dessen Schuld. Anschließend konfrontiert Gallien den Notar mit der Aussage seiner Frau, er habe nicht sofort nach Auffindung der Mädchenleiche von zu Hause aus die Polizei angerufen, sondern erst seinen Regenmantel gewechselt… 

Kritik: 

Claude Miller hat „Das Verhör“ als Kammerspiel der Gegensätze inszeniert. Zwar spielt sich das Psychoduell zwischen Maître Martinaud und dem Inspektor Gallien fast ausschließlich in dem tristen Büro des Polizisten ab, doch sorgt schon der Ausblick auf das gegenüber dem Polizeirevier in mondänem Rahmen stattfindenden Silvesterballs, an dem Galliens Vorgesetzter teilnimmt, zu dem Martinaud in diesem Jahr allerdings nicht eingeladen worden ist, für den Kontrast zwischen den gesellschaftlichen Welten, in denen sich der gut situierte, attraktiv verheiratete Martinaud auf der einen und der kantig wirkende, dreimal erfolglos verheiratete Gallien („Ich muss wohl ein ziemliches Ekel sein.“) auf der anderen Seite bewegen. 
Der ins Revier bestellte Maître muss auf den Inspektor warten, der nach seinem Eintreffen aus dem Regen und dichten Verkehr schnell die Zügel in die Hand nimmt. Aus dem anfänglich routinierten Frage- und Antwort-Spiel entwickelt sich fast unmerklich ein echtes Verhör, denn Martinaud beantwortet zwar pflichtschuldigst alle Fragen, trägt aber eine latente Überheblichkeit zur Schau, die vor allem dem temperamentvollen Protokollanten Belmont aus der Haut fahren lässt. Gallien behält jedoch die Ruhe und lässt seinen anfänglichen Zeugen, nun Verdächtigen, in Widersprüche verwickeln. Das zwischenzeitliche Gespräch mit Martinauds Frau lässt die Fassade der gutbürgerlichen Wohlanständigkeit vollends zerbröckeln. 
Romy Schneider spielt in ihrem vorletzten Film zwar nur eine Nebenrolle, doch füllt sie diese mit ihrem vertrauten Charisma voll aus. Am Ende sind es nicht nur die von Michel Audiard („Lautlos wie die Nacht“, „Der Maulwurf“) bereitgestellten Dialoge, die „Das Verhör“ so fesselnd machen, sondern auch die subtilen Darstellerleistungen von Lino Ventura („Tödliche Angst“, „Tatort Paris“) und Michel Serrault („Das Auge“, „Ein Käfig voller Narren“). Da kann das 2000 entstandene Remake „Under Suspicion – Mörderisches Spiel” mit Gene Hackman, Monica Bellucci und Morgan Freeman leider nicht mithalten. 

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