Epidemic
Mit seinem 1984 veröffentlichten Kinodebüt „The Element of Crime“ bewies der damals gerade mal 27-jährige Däne Lars von Trier ein einzigartiges Gespür für ungewöhnliche Erzählweisen und eindrucksvolle Bilder, die sichtlich von seinem großen Idol, dem russischen Filmemacher Andrej Tarkowski beeinflusst waren. Drei Jahre später folgte mit „Epidemic“ der zweite Teil seiner „Europa“-Trilogie und bot dem Filmemacher die Möglichkeit, durch die Film-im-Film-Thematik sein Publikum quasi über seine Schultern gucken zu lassen.
Inhalt:
Mit leicht belustigtem Entsetzen müssen der Filmregisseur Lars (Lars von Trier) und sein Drehbuchautor Nils (Nils Vørsel) feststellen, dass ihr über 200 Seiten umfassendes Drehbuch zu „The Whore and the Cop“ für immer im Datennirvana verschwunden ist. Dabei müssen sie das Skript in fünf Tagen einem Abgesandten der dänischen Filmförderanstalt vorlegen. Da sie sich nur noch an das Ende und vage an den Mittelteil erinnern, den Anfang aber völlig vergessen haben, entschließen sie sich, kurzerhand ein neues Drehbuch zu entwickeln.
Nach einem kurzen Brainstorming ist auch schon ein Titel gefunden – „Epidemic“ – und wenig später steht auch das Grundgerüst der Story:
Ein Arzt namens Dr. Mesmer (Lars von Trier) macht sich auf, um mit Hilfe von Aspirin eine gefährliche und todbringende Epidemie zu bekämpfen. Doch die idealistischen Bemühungen Mesmers sind nicht von Erfolg gekrönt, denn ohne es zu wollen, sorgen seine Ausflüge in die Quarantänezone erst recht dafür, dass sich die Ausbreitung der Seuche beschleunigt.
Während Lars und Niels die wissenschaftlichen Hintergründe recherchieren und sich in einer Bibliothek über die Pest informieren, die 1348 Siena heimsuchte, und in der Pathologie eines Krankenhauses einer Autopsie beiwohnen, breitet sich tatsächlich eine neue Epidemie aus.
Für den Besuch des Finanziers Claes (Claes Kastholm Hansen) planen die beiden Filmemacher zusammen mit ihrer gemeinsamen Freundin ein mehrgängiges Menü, für das sie einen befreundeten Weinkenner auch die Weinbegleitung aussuchen lassen. Als Lars dem Filmförderer das Skript überreicht, ist dieser erstaunt, dass er nach eineinhalb Jahren Arbeit und Förderung ein Exposé von gerade mal 12 Seiten in die Hand bekommt. Doch Lars und Niels haben noch eine Überraschung parat…
Kritik:
Auch wenn es bis zum Dogma95-Manifest noch einige Jahre hin ist, demonstriert Lars von Trier bereits mit „Epidemic“ seine Lust auf Beschränkung der filmischen Mittel. Die eigentliche Handlung rund um die beiden Filmemacher (die sich selbst spielen), die an einem neuen Skript arbeiten, ist in grobkörnigen, kontrastreichen Schwarz-Weiß-Bildern eingefangen und gewährt dem Publikum einen interessanten Einblick in die Arbeit des Filmschaffenden, wobei vor allem die Dialoge zwischen Lars und seinem Co-Drehbuchautoren erhellend sind, wenn sie sich mit ihren Ideen die Bälle zuwerfen und der Geschichte nach und nach Form verleihen.
Die Film-im-Film-Handlung über Doktor Mesmer (der Name verweist natürlich auf den berühmten Arzt, dessen „animalischer“ oder „tierischer“ Magnetismus die Praxis der Hypnose maßgeblich beeinflusste, die in der „Europa“-Trilogie“ durchweg ein prägendes Thema bildet) wird nur rudimentär entwickelt und gipfelt in der Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Religion, Wissen und Glauben. In einer kleinen Sequenz während ihres Deutschland-Trips besuchen Lars und Niels übrigens in Köln den Schauspieler Udo Kier, der davon erzählt, wie seine gerade verstorbene Mutter ihm vor ihrem Tod vom Leiden unter den englischen Bomberangriffen während des Kriegs berichtet hat.
Lars von Trier erweist sich hier einmal mehr als ideenreicher Bildschöpfer, der mit viel Selbstironie am Ende sogar ein schockierendes Finale bereithält, das dem Body Horror eines David Cronenberg zur Ehre reicht.
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