Napoleon

Mit seinem ruhmvollen, 5-fach Oscar-prämierten Meisterwerk „Gladiator“ (2000) machte Ridley Scott das ausgestorben geglaubte Genre des Historienschinkens nicht nur wieder salonfähig, er selbst kehrt gerade in letzten Jahren immer wieder bevorzugt zu den großen Sitten- und Schlachtengemälden früherer Zeiten zurück. Nach „Königreich der Himmel“ (2005), „Exodus: Götter und Könige“ (2014) folgten zunächst „The Last Duel“ (2021), dann „Napoleon“ (2023). Das dreifach für einen Oscar nominierte Biopic über den französischen Feldherrn ist jetzt im knapp 50 Minuten längeren Director’s Cut auf dem Streaming-Dienst Apple TV+ zu sehen und kommt so auf eine epische Spiellänge von dreieinhalb Stunden. 

Inhalt: 

Ende des 18. Jahrhunderts versinkt Frankreich im Chaos der Französischen Revolution; Marie-Antoinette (Catherine Walker) und viele andere einflussreiche Personen des französischen Hochadels verlieren auf der Guillotine ihren Kopf. In diesem so entstandenen Macht-Vakuum strebt der korsische Artillerie-Kommandant Napoleon Bonaparte (Joaquin Phoenix) in der neuen Französischen Republik nach höheren Ehren und kommt der Bitte nach, die Hafenstadt von Toulon zu erobern. Mit weiteren militärischen Erfolgen wie dem brutalen Niederschlagen des royalistischen Aufstandes im Jahr 1795 steigt der junge Napoleon in der Gunst und wird erst zum General und später dann zum Anführer seiner eigenen Armee. 
Doch neben dem Krieg gibt es für den aufstrebenden Feldherrn noch eine weitere Leidenschaft. Er verliebt sich in Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby), deren erster Ehemann in den Nachwehen der Revolution hingerichtet wurde. Doch Joséphine beschwert sich bald, dass ihr Mann nach der Heirat nur noch unterwegs sei, und nimmt sich einen jungen Liebhaber, von dem Napoleon während seines Aufenthalts in Afrika erfährt. Nach seiner verfrühten Rückkehr aus Ägypten lässt er sich von seiner Frau ewige Treue schwören und wird nach einem Staatsstreich einer von drei Konsuln, eher er sich 1804 zum Kaiser krönen lässt. Da seine Frau ihm keine Kinder zeugen kann, sorgt Napoleons machtgierige Mutter (Sinéad Cusack) dafür, dass ihr Sohn die Gelegenheit bekommt, seine Zeugungsfähigkeit unter Beweis stellen kann. Napoleon treibt seine immer größer werdenden Armeen bis nach Moskau, wo er die Stadt vollkommen verlassen vorfindet, und stellt sich in Waterloo gegen die mächtigen Regimenter der Engländer und Preußen… 

Kritik: 

Der größte Kritikpunkt, dem sich Ridley Scott bei all seinen Monumentalfilmen stellen muss, ist der der historischen Ungenauigkeit. Aber an der detaillierten Wiedergabe historischer Ereignisse ist der britische Meisterregisseur auch gar nicht interessiert. Historische Ereignisse oder Persönlichkeiten dienen Scott nur dazu, faszinierende Geschichten zu erzählen. 
Das „Napoleon“-Epos wirkt zunächst so, als würde es die Stationen von Napoleon Bonapartes Leben nur in Stichpunkten abhaken. Hier die wie am Fließband köpfende Guillotine, dort die Rückeroberung des Hafens von Toulon mit der anschließenden Vernichtung der britischen Flotte vor den Toren der Stadt. Die politischen Verwicklungen, das Ringen um Monarchie oder Republik, die Planung militärischer Operationen werden trotz der epischen Filmlänge nur angerissen, auf der anderen Seite will nichts ausgelassen werden. 
Besonders eindrucksvoll wirken die opulenten Schlachtszenen. Gleich zu Beginn wird Napoleons Pferd durch eine Kanonenkugel der Brustkorb zerfetzt, später lockt der französische Feldherr in Austerlitz das österreichisch-russische Heer auf einen zugefrorenen See, um dann das Eis mit seinen versteckten Kanonen zum Einbrechen zu bringen und die gegnerischen Soldaten in die eisigen Tiefen zu katapultieren. Bei all den Siegen und Niederlagen, politischen Arrangements und Affären bleibt die Persönlichkeit Napoleons merkwürdig blass. 
Joaquin Phoenix überzeugt zwar als ehrgeiziger, lüsterner, machtgieriger und bockiger Mann, doch gerade die für ihn so wichtige Beziehung zu seiner großen Liebe Josephine hätte mehr Raum vertragen können, um dem Drama emotionale Tiefe zu verleihen. So bleibt „Napoleon“ ein wuchtig inszeniertes, grandios von Dariusz Wolski („Fluch der Karibik“, „Neues aus der Welt“) fotografiertes und von Martin Phipps angenehm zurückhaltend instrumentierten Score geprägtes Drama, in dem weniger etwas mehr gewesen wäre. 

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