Europa

Mit „The Element of Crime“ (1984) und „Epidemic“ (1987) hat der dänische Filmemacher Lars von Trier zwei zwar konzeptionell vage zusammenhängende, stilistisch aber völlig unterschiedliche, doch einzigartige Werke geschaffen, die die ersten beiden Teile seiner sogenannten „Europa“-Trilogie bildeten. 1991 beendete er diese Trilogie mit dem überwiegend in Schwarz-Weiß und teils prominenten Darstellern inszenierten Noir-Drama „Europa“

Inhalt: 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs liegt Deutschland in Trümmern. Im Oktober 1945 kommt Leopold Kessler (Jean-Marc Barr) als Sohn deutscher Auswanderer aus New York am Frankfurter Hauptbahnhof an und trifft dort auf seinen Onkel (Ernst-Hugo Järegård), der ihm eine Anstellung als Schlafwagenschaffner bei dem deutschen Bahnunternehmen Zentropa besorgt hat. Nachdem Leopold ein paar oberflächliche Untersuchungen über sich ergehen lassen musste und mit einer Uniform ausgestattet worden ist, bekommt er von einem ranghohen Inspekteur (Dietrich Kuhlbrodt) zu hören, welche Ehre und welches Privileg der Dienst in einem solchen Waggon bedeute. Als der Zug schließlich aus dem mit Flüchtlingen und Obdachlosen überfüllten Frankfurter Bahnhof in Richtung Berlin abfährt, verabschiedet sich der Onkel schon bald in die Teeküche, lässt es sich mit einem Glas Hochprozentigem gutgehen und überlässt den Service für die Reisenden seinem Neffen Leopold. 
Als erstes macht der junge Mann die Bekanntschaft der mondänen Katharina Hartmann (Barbara Sukowa), Tochter des Zentropa-Eigentümers Max Hartmann (Jørgen Reenberg), die in einer eigenen Kabine allein reist. Leopold sieht Deutschland nur aus fahrenden Zügen heraus, in Bahnhöfen oder Schlafsälen. Während er erfolglos versucht, sich den gesellschaftlichen Regeln anzupassen, wird er Zeuge der inneren Zerrissenheit des Landes und der Nachwehen seiner jüngsten Vergangenheit. Nationalsozialistische Fanatiker, so genannte Werwölfe, verüben terroristische Akte. 
Katharina lädt Leopold schließlich zum Abendessen in ihrer halb zerbombten Familienvilla ein. Max Hartmann erhält mit Hilfe einer falschen Aussage eines amerikanischen Juden, der ihn als Lebensretter angibt, einen Persilschein und wird rehabilitiert. Später verübt Hartmann aus Scham Selbstmord. Leopold verliebt sich in Katharina und heiratet sie, doch kurz darauf verschwindet seine Frau spurlos. Eine Gruppe Werwölfe zwingt ihn mit der Drohung, Katharina zu ermorden, seinen Zug auf einer strategisch wichtigen Eisenbahnbrücke in die Luft zu sprengen. 
Leopold trifft wie befohlen die nötigen Vorbereitungen, entdeckt dann aber, dass die Entführung fingiert war und seine Frau Mitglied der Werwölfe ist… 

Kritik: 

Bereits in den ersten beiden Filmen der „Europa“-Trilogie war Hypnose ein mehr oder weniger zentrales Element der Erzählung. „Europa“ beginnt mit einer Kamerafahrt über dahinschwindende Bahngleise im Dunkeln, wozu Max von Sydows hypnotisierende Stimme aus dem Off dem Betrachter ankündigt, dass er in Kürze in Europa aufwachen werde, sobald er innerlich bis zehn gezählt habe. Was folgt, ist eine stilistisch außergewöhnliche Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit im Nachkriegs-Deutschland. 
Die dem Film noir nachempfundene Ästhetik lässt keinen Zweifel daran, dass von Trier seinen großen Vorbildern Andrej Tarkowskij, Fritz Lang, Alfred Hitchcock und Orson Welles huldigt, doch gelingt es ihm, die für seine Verhältnisse konventionell erzählte Geschichte mit der Aura altmodischer europäischer Kriminalfilme und der tragikomischen Paranoia Kafkas zu verbinden. Für visuelle Glanzlichter sorgen von Trier und seine Kameraleute Henning Bendtsen, Edward Klosinski und Jean-Paul Meurisse mit einigen Farbtupfern in dramatischen Szenen. 
Erstmals war es von Trier auch vergönnt, mit bekannten Darstellern zu arbeiten. Während die Fassbinder-Aktrice Barbara Sukova überzeugend eine Mischung aus Femme fatale und liebender Ehefrau verkörpert, gehören vor allem Jean-Marc Barr („Lovers“, „Im Rausch der Tiefe“) die Sympathien des Publikums, wenn er als idealistischer Heimkehrer beim Wiederaufbau in Deutschland unterstützen will und von verschiedenen politischen Gruppierungen instrumentalisiert wird. Ernst-Hugo Järegård überzeugt als strenger und väterlicher Ausbilder ebenso wie Udo Kier und Eddie Constantine in größeren Nebenrollen. 

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