La califfa

Seit seinem 1955 entstandenen, zunächst aber wegen der Zensur unveröffentlichten Debütroman ist Alberto Bevilacqua mit über 40 Romanen und Erzählungen zu einem der bedeutendsten Autoren Italiens im 20. Jahrhundert geworden und ist mit zahlreichen Literaturpreisen geehrt worden. Nachdem er in den 1960er Jahren angefangen hatte, auch noch Drehbücher für Filme wie „Seddok – Der Würger mit der Teufelskralle“, „Heirat auf sizilianisch“ und „Planet der Vampire“ zu schreiben, legte er 1970 sein Regiedebüt mit der Verfilmung seines eigenen Romans „La califfa“ vor. 

Inhalt: 

An allen Industriestandorten in Norditalien wird gestreikt. Der Zugang zu den Betrieben wird durch protestierende Arbeiter verwehrt und nur durch ein massives Polizeiaufgebot überhaupt ermöglicht. Als der einflussreiche Fabrikbesitzer Annibale Doberdò (Ugo Tognazzi) in seinem Auto vorfährt, spricht er zu seinen Arbeitern, versucht allerdings vergeblich, sie von der Sinnlosigkeit des Streiks zu überzeugen. Bei seiner Abfahrt stellt sich ihm die junge Arbeiterin Irene Corsini (Romy Schneider) entgegen, deren Mann vor einiger Zeit durch einen Streik getötet wurde und die alle nur „La Califfa“, „die Kalifin“, nennen. Ihr Wort wird von den Arbeitern wahrgenommen, weil sie nicht nur einflussreich und unbestechlich ist, sondern auch kämpferisch und sehr schön. 
Doch ihre Forderung, die bereits im Nachbarwerk entlassenen Arbeiter wieder einzustellen, erweist sich als undurchführbar, denn ein Konkurs in diesem Werk scheint unabwendbar. Der Eigentümer dieses Werks bittet Regierung und befreundete Arbeitgeberkollegen, ihm bei der Rettung zu helfen, doch stößt er überall auf mangelndes Entgegenkommen und Desinteresse. Als selbst Doberdò sich seinem Hilferuf verweigert, bringt sich der Industrielle um. Die Arbeitnehmer, die das Werksgelände besetzt halten, bahren den Toten im Werkshof als traurige Mahnung und Sinnbild ihrer aussichtslosen Lage auf. Zwar wird bei den Arbeitern schnell Annibale Doberdò als Verantwortlicher ausgemacht, doch nur Califfa traut sich, ihn anzuklagen. 
Doberdò zeigt sich beeindruckt von dieser Frau, die sich nicht einschüchtern lässt. Califfa erkennt bei einem Wiedersehen, dass sie endlich ein probates Mittel gefunden zu haben scheint, Macht über diesen scheinbar allmächtigen und von allen gefürchteten Mann auszuüben. Doch statt ihn zu vernichten, verliebt sich Califfa in Doberdò und nutzt ihren Einfluss auf ihn, dass ihr Liebhaber sich mit den Arbeitern arrangieren will… 

Kritik: 

Alberto Bevilacqua bringt in seinem Regiedebüt die Lebenswelten zweier komplett unterschiedlicher Menschen zusammen, lässt eine kämpferische Fabrikarbeiterin und einen mächtigen Industriellen ineinander verlieben und sie beide verändert daraus hervorgehen. Doch im Gegensatz zu seinen gefeierten Romanen gelingt es Bevilacqua nur unzulänglich, das Aufeinanderprallen und Ineinandergreifen von zwei Menschen mit entgegengesetzten sozialen und politischen Positionen glaubhaft auf die Leinwand zu bringen. Wenn die Kalifin zu Beginn um ihren von Polizeikräften erschossenen Mann auf einem großen Platz trauert, könnte die Szene geschickt auf die zugespitzte Situation hinweisen, die in der Folge zwischen Kapital und Arbeiterschaft in den Streiks zum Ausdruck kommt, doch die Konfrontationen zwischen dem einflussreichen Industriellen Doberdò und der Arbeiterschaft hinterlassen kaum Eindruck bei den Zuschauern, zu schablonenhaft und starr wirken sie. Es geht Bevilacqua offensichtlich auch weniger um den Kampf zwischen Proletariat und dem Kapital, sondern einzig um die Veränderung der Beziehung, die Doberdò und Califfa im Verlauf der Geschichte durchmachen. 
Immer wieder findet der Autor und Regisseur dafür eindrucksvolle Bilder, etwa wenn Doberdò das Schlafzimmer stürmt, in dem Califfa gerade mit ihrem Geliebten geschlafen hat, oder wenn Califfa den riesigen Speisesaal betritt, in dem der Industrielle allein sitzt, während Demonstranten die Scheiben des Saals einwerfen. Doch auch wenn „La Califfa“ 1971 bei den Filmfestspielen in Cannes für die Goldene Palme nominiert war, mit dem Premi David di Donatello für Ugo Tognazzi als Besten Schauspieler und zweifach mit dem italienischen Journalistenpreis prämiert wurde, für Alberto Bevilacqua als Besten Newcomer-Regisseur und für Marina Berti als Beste Nebendarstellerin, bleibt der Film seinen symbolträchtigen Bildern verhaftet, ohne die Motivationen seiner Figuren sinnhaft erklären zu können. Romy Schneider ist hier in einer ungewohnten Rolle als Streikführerin zu sehen und darf sich einmal mehr als sehr freizügig präsentieren. Zusammen mit dem verführerisch schönen Score von Ennio Morricone und den eindrucksvollen Bildern bleiben die elegant in Szene gesetzten Erotikakzente am nachhaltigsten in Erinnerung. 

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