Hark Bohm startete seine Schauspielkarriere in Rudolf
Thomes „Rote Sonne“ (1969) und Reinhard Hauffs „Die
Revolte“ (1969), bevor er in unzähligen Filmen von Rainer Werner
Fassbinder („Der amerikanische Soldat“, „Angst essen Seele auf“, „Fontane
Effi Briest“) zu sehen war. Bereits 1971 gründete er mit anderen deutschen
Filmemachern wie Wim Wenders und Hans W. Geissendörfer den
Filmverlag der Autoren gründete und 1976 mit „Nordsee ist Mordsee“ seinen
zweiten Kinofilm – nach eigenem Drehbuch – inszenierte.
Inhalt:
Der 14-jährige Uwe (Uwe Bohm) lebt mit seinem brutalen,
häufig alkoholisierten Vater (Marquard Bohm) und seiner als Kassiererin
arbeitenden Mutter (Herma Koehn) in Hamburg-Wilhelmsburg. Dort hängt er
mit seiner Clique herum, um Spielautomaten aufzubohren oder die Ausgabeschächte
von Zigarettenautomaten zu knacken. Besondere Freude bereitet es den Teenagern,
den gleichaltrigen Dschingis (Dschingis Bowakow) als „Ausländer“ zu
beschimpfen, die Luft aus seinem Rennrad zu lassen und sich mit ihm zu prügeln.
Im Gegensatz zu Uwe wächst Dschingis aber behütet bei seiner verwitweten Mutter
(Katja Bowakow) auf, die in einer Fabrik arbeitet. Da er keine Freunde
hat, verbringt Dschingis seine Freizeit damit, sich am Rande des Hamburger
Hafengebietes ein Floß aus leeren Plastikfässern und Holzresten zusammenzubauen,
mit dem er auf der Elbe in See stechen will, um dem tristen Alltag zu
entfliehen. Das beobachten auch Uwe und seine Freunde, die das Boot nach dem Zuwasserlassen
zerstören. Als es daraufhin zu einem Kampf zwischen Dschingis und Uwe kommt,
zückt Uwe ein Springmesser, das er von dem Geld aus einem der Raubzüge mit
seinen Leuten gekauft hat, ohne ihnen etwas davon gesagt zu haben. Doch
Dschingis, der ebenso wie Uwe ein großer Fan von Karate-Legende Bruce Lee
ist, besiegt Uwe im Zweikampf und zwingt ihn, das Boot mit ihm wieder
zusammenzubauen. Während Uwe von seinen Freunden an Ansehen verliert, freundet
er sich mit Dschingis an. Um das Vertrauen seiner Clique wieder zu erlangen,
entwendet er ein Auto und fährt damit durch die Gegend, bis ihn die Polizei
aufgreift und bei seinem Vater abliefert, der Uwe so heftig zusammenschlägt,
dass dieser bei Dschingis ein paar Tage unterzutauchen hofft. Als Dschingis‘
Mutter dem Plan aus Angst, einen Gesetzesverstoß zu verüben, einen Riegel
vorschiebt, rudern Uwe und Dschingis mit dem Floß die Elbe Richtung Nordsee…
Kritik:
Bereits mit den ersten Szenen, zu denen Udo Lindenberg
im Vorspann singt, fangen Hark Bohm und Kameramann Wolfgang Treu („Das
Schloss“, „Arabella“) das besondere Flair des Hamburger Hafens ein, um sich
dann sogleich in das Milieu des Hamburger Arbeitervororts Wilhelmsburg zu
begeben. Hier kommen die schwierigen Familienverhältnisse zum Ausdruck, wenn
die Kinder auf sich allein gestellt aufwachsen und sich allein unter
Gleichaltrigen geborgen fühlen. Das bekommt vor allem Uwe zu spüren, wenn er
für seinen nur gelegentlich auf dem eigenen Kutter arbeitenden Vater Kippen
holen soll, während dieser sich auf dem Sofa ein Bier nach dem anderen reinzieht
und jede Abweichung vom gewünschten Verhalten mit Prügel bestraft. Selbst seine
hart arbeitende Mutter kann da wenig ausrichten, leidet sie doch selbst unter
der Gewalt ihres Mannes.
„Nordsee ist Mordsee“ überzeugt vor allem als Milieustudie,
zeichnet detailliert die Lebenswelten von Jugendlichen auf, und die Kleidung,
Poster, Frisuren und Fahrräder geben ein authentisches Bild jener Zeit wieder.
Ins Zentrum der Geschichte rückt aber schließlich die ungewöhnliche Freundschaft
zwischen Uwe und Dschingis, die nicht nur Gefallen am Segeln und dem damit
verbundenen Gefühl von Ausbruch und Freiheit finden, sondern auch ihr
jeweiliges Rechtsempfinden immer wieder auf die Probe stellen müssen. Hark
Bohm verschafft seinem Adoptivsohn Uwe ein großartiges Leinwanddebüt,
und auch Bohms Bruder Marquard darf einmal mehr als böser Bube in einem
Film glänzen, der zumindest für das Publikum die Hoffnung aufrechterhält, dass Dschingis
und Uwe ihren Traum von einem selbstbestimmten Leben weiterträumen können.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen