Solino
Fatih Akin, Sohn türkischer Einwanderer, hat mit
seinen ersten beiden Filmen – „Kurz und schmerzlos“ (1998) und „Im
Juli“ (2000) – zwei bemerkenswerte Werke geschaffen, die sein Talent für
starke Bilder, wunderbare Geschichten und große Emotionen dokumentierten. Mit
seinem dritten Werk „Solino“ (2002) verfilmte er mit dem Drehbuch von Ruth
Toma („Gloomy Sunday“, „LiebesLuder“) erstmals einen fremden Stoff,
der das zermürbende Schicksal einer italienischen Gastarbeiterfamilie über
einen Zweitraum von zwanzig Jahren erzählt.
Inhalt:
In ihrer apulischen Heimatstadt Solino ist es schwer, eine
Familie zu ernähren. Also beschließt Romano (Gigi Savoia) 1964, mit
seiner Frau Rosa (Antonella Attili) und den beiden Söhnen Gigi (Nicola
Cutrignelli) und Giancarlo (Michele Ranieri) nach Deutschland zu
ziehen, wo ein Freund der Familie Romano eine Beschäftigung in einer Zeche in
Duisburg und eine Wohnung besorgt. Rosa ist alles andere als begeistert von dem
kalten Klima und der heruntergekommenen Wohnung in dem grauen Arbeiterviertel,
und als Romano den Job schmeißen will, weil er seine Hände nicht schmutzig
machen möchte, ist seine temperamentvolle Frau schon dabei, die Koffer zu
packen und wieder nach Solino zurückzukehren. Da entdeckt sie auf der anderen
Straßenseite ein Lokal, das zu mieten ist. Hier eröffnen sie die erste Pizzeria
im Ruhrpott. Ursprünglich angedacht als Lokal für ihre Landsleute, die keine
Frauen und somit niemanden haben, der für sie kocht, begeistert das „Solino“ schnell
auch die Einheimischen. Gigi entwickelt eine Begeisterung für die Fotografie
und das Filmemachen. Sowohl der Fotograf Klasen (Hermann Lausen) als
auch der Regisseur Baldi (Vincent Schiavelli), der mit seiner Filmcrew
die Mittagspausen im „Solino“ verbringt, unterstützen Gigi in seinem Vorhaben.
Zehn Jahre später ziehen Gigi (Barnaby Metschurat)
und Giancarlo (Moritz Bleibtreu) von zuhause aus und leben mit Jo (Patrycia
Ziolkowska), um die die Brüder schon seit Kindertagen buhlen, in einer WG
zusammen. Giancarlo animiert seinen Bruder, eine Filmkamera im Wert von 600 DM
aus dem Schaufenster von Klausen zu stehlen, doch ist es Gigi, der dafür eine
Nacht auf der Polizeiwache verbringen muss. Klausen nimmt Gigi den Einbruch
nicht übel, weiß er doch, dass sein älterer Bruder die treibende Kraft bei
dieser Aktion gewesen ist. Also schenkt er ihm eine alte Kamera, mit der Gigi
seinen ersten Kurzfilm „Dat iss jetz wech“ dreht, der sogar bei den
Ruhrfestspielen gezeigt werden soll. Die Ereignisse überschlagen sich
allerdings, als Rosa ihren Mann in der Restaurantküche in flagranti mit einer
blonden Deutschen erwischt. Als bei ihr auch noch eine unheilbare Art von Leukämie
diagnostiziert wird, will sie nur noch zurück nach Solino, wohin sie Gigi begleitet.
Giancarlo nutzt die Abwesenheit seines Bruders nicht nur dazu, Jo zu verführen,
sondern auch bei der Preisverleihung des Filmfestivals in die Rolle seines
Bruders zu schlüpfen…
Kritik:
Fatih Akin erzählt in berauschenden Bildern die
Geschichte einer an sich typischen Gastarbeiterfamilie, die 1964 in das
Wohlstandsland Deutschland umsiedelt, um dort das große Glück zu finden. Rainer
Klausmann („Der Baader Meinhof Komplex“, „Das Experiment“) fängt die
Gegensätze zwischen dem kargen, verwaist wirkenden Dorf in Süditalien ebenso großartig
ein wie die verrußte Atmosphäre im Ruhrpott. Hier genügen ein paar Kameraschwenks
unter Tage und über die Zechen auf der einen Seite und die tristen Wohnverhältnisse
im Duisburger Arbeiterviertel, um die Diskrepanz zwischen Traum und Wirklichkeit
zu illustrieren. Akin beschränkt sich in den Szenenbildern zunächst sehr
auf die begrenzte und beengte Lebenswelt der italienischen Familie, die sich
mit der Pizzeria zwar eine gute Existenz aufbaut, in der aber bald größere
Konflikte aufbrechen. Während Romano nur noch ans Geschäft denkt, bleiben Rosas
Rufe nach Unterstützung ungehört, die Kinder gehen ihren eigenen Weg und konkurrieren
nicht nur um das gleiche Mädchen, sondern auch um Anerkennung, für die
Giancarlo allerdings nichts zu tun bereit ist und deshalb mit unlauteren
Mitteln zum Ziel zu kommen versucht, vor allem auf Kosten seines Bruders.
Während
Antonella Attili („Cinema Paradiso“, „Allen geht’s gut“) in der
ersten Hälfte des Films als temperamentvolle Frau und Mutter das Geschehen
bestimmt, rücken in der zweiten Hälfte die von Barnaby Metschurat („Julietta“,
„L'auberge espagnole – Barcelona für ein Jahr“) und Moritz Bleibtreu („Lola
rennt“, „Das Experiment“) in den Rollen ihrer zunehmend rivalisierenden Söhne
in den Mittelpunkt. Dann geht allerdings auch der erzählerische Fokus verloren,
wenn sich die Geschichte zwischen Duisburg und Solino einerseits und den schärfer
werdenden Auseinandersetzungen zwischen den Brüdern einzupendeln versucht. Alles
in allem ist „Solino“ aber ein großartig bebildertes, stark gespieltes Familien-Drama,
das sich etwas dabei verhebt, die Problematik von Gastarbeiterfamilien mehr als
nur oberflächlich anzuschneiden und zu viele Themen anreißt.








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