Berlin Chamissoplatz
Mit seinen zuvor entstandenen Werken „Made in Germany und
USA“ (1974) und „Tagebuch“ (1975) hatte Rudolf Thome noch
radikal minimalistische, von ausufernden Dialogen bestimmte Beziehungsdramen in
kostrastarmen Schwarzweißbildern inszeniert, mit dem darauffolgenden, über
dreistündigen Dokudrama „Beschreibung einer Insel“ (1979) löste sich der
Filmemacher von dieser rigiden Fokussierung auf autobiografisch gefärbte
Beziehungskrisen, um dann mit „Berlin Chamissoplatz“ (1980) wieder zu
seinem Lieblingsthema zurückzukehren. Nur spielt sich die überraschend einfache
Liebesgeschichte diesmal vor gesellschaftspolitisch spannendem Hintergrund ab.
Inhalt:
Während eines Straßenfestes auf dem Chamissoplatz in Berlin
Kreuzberg führt die 24-jährige Soziologiestudentin Anna Bach (Sabine Bach)
ein Videointerview mit dem Architekten Martin Berger (Hanns Zischler),
der das Sanierungsprogramm für dieses Wohnviertel betreut. Dabei spricht sie
die Problematik an, dass günstiger Wohnraum im Viertel künstlich verknappt
werde, dass frei gewordene Wohnungen nicht neu vermietet werden und darauf
gedrängt wird, bestehende Mietverhältnisse aufzulösen, damit die Häuser aufwändig
saniert und wieder teuer vermietet werden können.
Auf einer Versammlung der Gruppe, zu der auch ihr
engagierter Freund Jörg (Wolfgang Kinder) gehört und die sich für eine
mieterfreundliche Sanierung starkmacht, führt Anna ihr Material vor. Um mehr
Informationen über das Sanierungsprogramm zu erhalten, zum Beispiel, welche
Häuser abgerissen werden sollen, besucht Anna Martin in seinem Büro, doch da
der Architekt noch arbeiten muss, verabredet er sich mit der Studentin abends
in einem Restaurant, wo er ihr verspricht, sich nach inoffiziellen
Informationen über die Sanierungspläne umzuhören. Er kommt auch Annas Einladung
zu einem Treffend der Mietergruppe im Chamissoladen nach, doch nutzt Jörg die
Gelegenheit, heimlich die Aussagen von Martin mit einem Tonband aufzuzeichnen,
worüber ein erbitterter Streit zwischen Anna und Jörg entbrennt und es zur
Trennung kommt. Der in Trennung lebende Martin überrascht Anna am nächsten Morgen
mit einem opulenten Frühstück, das sie auf Anna Wunsch im Bett einnehmen wollen.
Nachdem sie dort das erste Mal miteinander geschlafen haben, verbringen Anna
und der fast zwanzig Jahre ältere Martin viel Zeit miteinander, fahren sogar
zusammen kurzfristig ans Meer nach Italien, wo Anna ihm gesteht, dass sie
schwanger sei…
Kritik:
Rudolf Thome selbst hat in einem Interview bekannt,
dass „Berlin Chamissoplatz“ „mein privatester und dann auch wieder mein
unpersönlichster Film“ sei. Immerhin hat Thome damals in der Gegend um den
Chamissoplatz gewohnt und erzählt seine überraschend unkomplizierte
Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des sozialpolitischen Ambientes im Kreuzberger
Kiez. Das umstrittene Sanierungsprogramm vermeintlich baufälliger Häuser bildet
den interessanten Rahmen für den Plot, wird aber nicht zu sehr ausgereizt, um
von der Geschichte abzulenken, die im Mittelpunkt steht, nämlich die Beziehung
zwischen der aufgeweckten, engagierten Studentin und dem abgeklärten,
wohlhabenden Architekten, der nach zwei gescheiterten Ehen sich kaum traut,
sich in die Beziehung mit einer zwanzig Jahre jüngeren Frau zu stürzen. Doch Thome
gelingt es auch dank der herausragenden Darsteller, die simple Liebesgeschichte
zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Alters mit verschiedenen Hintergründen
und Lebensstilen glaubwürdig zu erzählen, wobei es vor allem an Martin ist,
sich in die Welt von Anna zu begeben, sich mit ihren Freunden zu treffen,
Anteil an ihrem Vorhaben zu zeigen, sich mit ihnen für ihre Sache zu
engagieren.
„Berlin Chamissoplatz“ ist der bislang zugänglichste,
überzeugendste Film in Thomes Schaffen und überzeugt gleichermaßen in der
Milieuschilderung wie der wunderbar gespielten Liebesgeschichte.








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