In über vierzig Jahren hat sich der Autorenfilmer Rudolf
Thome ganz selbstbewusst und selbstvergessen einen Nischenplatz in der
deutschen Kinolandschaft geschaffen und diesen redlich gepflegt, indem er sich
mit jedem Film ein wenig neu empfand und die Geschichten erzählte, die er
erzählen wollte, ob sie das Publikum und die Kritik interessierten oder nicht. In
seinem bislang letzten Film, „Ins Blaue“ (2012), kommt vieles zusammen,
was Thome-Filme ausmachen, diesmal mit einem Film-im-Film-Konzept, das neue
Sichtweisen auf die Spielarten der Liebe erlaubt, die Thome so gerne
thematisiert.
Inhalt:
Die junge Filmemacherin Nike Rabenthal (Alice Dwyer)
träumt vom Kino des 21. Jahrhunderts, einem Kino, das ganz nah dran ist an der
Gegenwart und dabei die Traditionen der französischen Nouvelle Vague fortführt.
Um diesen Traum zu verwirklichen, reist sie mit ihrem Vater Abraham (Vadim
Glowna), der selbst ein anerkannter Regisseur ist und nun den Erstling
seiner Tochter produziert, und ihrem Team, das vor allem aus den drei Hauptdarstellerinnen
Eva (Esther Zimmering), Josephine (Janina Rudenska) und Laura (Elisabeth-Marie
Leistikow), Toningenieur Lukas (Bernd-Christian Althoff),
Regieassistent Wilhelm (Stefan Rudolf) und anderen besteht, in einem
alten VW-Bus und gemieteten Crew-Fahrzeugen nach Italien. „Ins Blaue“ soll der
Direct-Cinema-Film heißen und eine Improvisation über das Leben, die Liebe, den Glauben und die
Philosophie darstellen. Dazu gibt es weder ein ausgearbeitetes Drehbuch,
sondern festgelegte Dialoge. Die drei Hauptdarstellerinnen bekommen von Nike
nur ein paar Skizzen und eine ungefähre Route vorgegeben, doch schon bald wird dieses
Konzept auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Abraham kann nämlich nicht die
erhoffte Filmförderung an Land ziehen, so dass er sich selbst vor dem Bankrott
sieht. Etwas Abhilfe verschafft die Umsetzung von Nikes Vorschlag, den
Mönch-Darsteller (Henning Vogt) auch den Fischer spielen zu lassen,
während Abraham in die Rolle von Ludwig Wittgensteins (imaginierten)
Sohn Herbert Wittgenstein schlüpft, der vor allem über Heraklits Ausspruch
„Alles fließt.“ philosophiert. Nike weiß allerdings nicht, dass Laura ihre
Rolle nur bekommen hat, weil sie sich auf eine Liaison mit Abraham eingelassen
hat. Als die beiden im Film eine gemeinsame Bettszene haben, kommt es zum Eklat…
Kritik:
Schon in früheren Filmen hat Thome sehr stark
autobiografisch anmutende Züge verarbeitet, vor allem in „Tagebuch“
(1975), dem einzigen Film, in dem Thome selbst auch die männliche Hauptrolle
übernahm, oder in „Das Sichtbare und das Unsichtbare“, der den Kampf mit
der Erfolgslosigkeit als Künstler thematisierte. Mit der Film-im-Film-Konstellation
von „Ins Blaue“ wird die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schaffen nun
auf die Spitze getrieben. Es drängt sich dabei geradezu auf, in Vadim
Glownas Figur des alternden Filmemachers das Alter Ego von Rudolf Thome
zu sehen, dessen eigene Tochter Joya ja auch in einigen seiner Filme zu sehen
war. Doch allzu philosophisch wird es dann doch nicht. Thome folgt eher
dem Motto „Alles fließt.“ und lässt Film- und Film-im-Film-Handlung zunehmend
miteinander verschwimmen, was durch die identischen Filmtitel noch unterstützt
wird. Ebenso wie die drei Frauen etwas ziellos nach Italien unterwegs sind, entwickelt
sich auch die Rahmenhandlung eher zufällig, müssen akute Probleme wie missratene
Tonaufnahmen und Budgetengpässe ebenso gemeistert werden wie
zwischenmenschliche Differenzen und Liebesnöte. Thome ist ein Meister
darin, diese spontan wirkenden Entwicklungen glaubwürdig in ein Ganzes zu
fügen, das auf kurzweilige Weise zu unterhalten vermag und doch auch zum Denken
anregt.
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