Possession
Das mit Romy Schneider und Klaus Kinski realisierte Drama „Nachtblende“ (1975) zählt zu den bekanntesten Werken des polnischen Filmemachers Andrzej Zulawski (1940-2016). Danach sollte es sechs Jahre dauern, bis der Skandal-Regisseur („Die öffentliche Frau“, „Meine Nächte sind schöner als deine Tage“) sein nächstes Werk in die Kinos brachte: „Possession“ erweist sich u.a. als radikales Psycho-Drama und verstörender Body-Horror auf den Spuren von David Cronenberg und William S. Burroughs und präsentiert die französische Schauspielerin Isabelle Adjani in einer ihrer beeindruckendsten Rollen.
Inhalt:
Als der Agent Mark (Sam Neill) nach einem seiner Einsätze nach Hause ins geteilte Berlin kommt, hat sich seine Frau Anna (Isabelle Adjani) längst von ihm entfremdet, worunter vor allem ihr gemeinsamer Sohn Bob leidet. Wie der kontrollsüchtige Mark später von Anna erfährt, hat sie seit längerem eine Affäre mit dem linksliberalen Esoteriker Heinrich (Heinz Bennent). Mark sucht zunächst das Weite, betäubt seinen seelischen Schmerz mit Alkohol, verwahrlost zunehmend und kehrt schließlich in die gemeinsame Wohnung zurück. Inmitten des Chaos dort spielt der völlig mit Lebensmittelresten verschmierte Bob. Wenig später kehrt auch Anna mit Lebensmitteln in die Wohnung zurück. Mark merkt, dass etwas mit seiner Frau nicht stimmt.
Immer wieder verschwindet sie, ist aber weder bei Heinrich noch bei ihrer Freundin Margit (Margit Carstensen) anzutreffen, die sich oft um Bob kümmert. Da Mark vermutet, dass Anna noch einen weiteren Liebhaber hat, setzt er einen Detektiv auf sie an. Währenddessen lernt Mark, der Bob von nun an zur Schule bringt, dessen Lehrerin Helen (Isabelle Adjani) kennen, die seiner Frau wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Als sich der auf Anna angesetzte Detektiv unter einem Vorwand Zutritt zu einer Altbauwohnung in Kreuzberg verschafft, zu der er die Frau verfolgt hat, macht er eine entsetzliche Entdeckung…
Kritik:
Mit „Possession“ hat Zulawski ein ebenso provokantes wie verstörendes Drama geschaffen, dessen düstere Atmosphäre und Radikalität vor allem zwei Umständen geschuldet ist: 1977 sah sich Zulawski gezwungen, seine polnische Heimat endgültig zu verlassen, nachdem die kommunistische Regierung seine Arbeit an dem politisch subversiven Science-Fiction-Epos „Der silberne Planet“ gestoppt hatte. Einen weiteren schweren Schlag musste Zulawski verkraften, als seine Ehe mit der polnischen Schauspielerin Malgorzata Braunek in die Brüche ging. Dass „Possession“ vornehmlich wie das Psychogramm einer dysfunktionalen Beziehung wirkt, überrascht daher nicht.
Auch die Drehorte direkt an der Berliner Mauer sind mit Bedacht gewählt, wollte sich Zulawski doch dem Osten so dicht wie möglich vom Westen her nähern. Immer wieder schwenkt die Kamera zum nahe gelegenen Wachturm, aus dem die Grenzsoldaten die Ereignisse „drüben“ mit dem Fernglas beobachten, und zum Graben an der Grenze, in dem ein toter Hund liegt, der nicht an Altersschwäche gestorben ist.
Doch die Bedrohung existiert in „Possession“ nur scheinbar von außen, von der anderen Seite der Mauer zur DDR. Das eigentliche Schlachtfeld befindet sich in den Herzen und Köpfen der Figuren in diesem schwer zu durchdringenden Drama. Isabelle Adjani („Camille Claudel“, „Die Bartholomäusnacht“) spielt Anna wie eine entfesselte, wie vom Teufel besessene Furie, die ebenso begehrenswert wie furchteinflößend wirkt. Die Kamera von Bruno Nuytten („Brubaker“, „Das Verhör“) ist immer wieder dicht an den fratzenhaften, verstörten, vom Wahnsinn gezeichneten Gesichtern dran, nicht nur dem von Anna.
Auch Sam Neill darf sich als betrogener Ehemann bis zum Overacting austoben. Was anfangs noch wie ein klassisches Beziehungsdrama wirkt, entgleist recht schnell in Richtung phantastischer Groteske. Wenn die Kamera durch die sterilen Settings verwahrloster Altbauwohnungen und leerer Straßen streift und die Menschen zum Ende hin in Meeren aus Kunstblut waten, weiß man als Zuschauer nicht mehr, ob man es hier mit einem Arthouse-Film, einem Ehe-Drama, einem Film Noir, einem Spionage-Thriller, Body-Horror oder Giallo zu tun hat. Wie immer man „Possession“ auch interpretiert, Isabelle Adjanis Auszeichnung mit dem César und anderen Preisen ist mehr als gerechtfertigt.
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