Abschied in der Nacht
Der französische Filmemacher Robert Enrico (1930-2001) ist vor allem durch die beiden Action-Filme „Die Abenteurer“ (mit Alain Delon und Lino Ventura) und „Ho!“ (mit Jean-Paul Belmondo) bekannt geworden. Seinen wohl besten Film hat er aber erst 1975 mit dem historischen Drama „Abschied in der Nacht“ (auch bekannt unter dem Titel „Das alte Gewehr“ – so die wörtliche Übersetzung des Originaltitels „Le vieux fusil“) abgeliefert, in dem sowohl Romy Schneider als auch Philippe Noiret mit beeindruckenden Darstellungen überzeugen.
Inhalt:
Julien Dandieu (Philippe Noiret) arbeitet im Jahr 1944 als Chirurg in der südfranzösischen Stadt Montauban. Offiziell untersteht die Stadt nicht den Deutschen, sondern dem „neutralen“ Vichy-Regime, das allerdings praktisch mit den Nazis kollaboriert. Die Straßen sind gesäumt mit aufgeknüpften Mitgliedern der Résistance, die verantwortliche Miliz verschleppt konsequent alle nur grob unter Terrorismusverdacht stehende Verwundete aus dem Krankenhaus, in dem Dandieu mit seinem Freund François (Jean Bouise) und deutschen Kollegen arbeitet. Medikamente sind Mangelware, Stromausfälle und Bombenalarme an der Tagesordnung.
Während sich das Ende des Krieges eigentlich schon abzeichnet, haben die langen Jahre der Entbehrungen, die Operationen sowie die Razzien durch die Soldaten Spuren bei dem Mediziner hinterlassen. Als er eines Tages eine Drohung gegen ihn und seine Familie wahrnimmt, überredet er seine Frau Clara (Romy Schneider) und die gemeinsame Tochter zur Flucht in die kleine Gemeinde Barberie, wo das Schloss seiner verstorbenen Eltern steht.
Um den Schein zu wahren und die im Keller des Krankenhauses befindlichen Partisanenkämpfer so gut es geht zu schützen und zu versorgen, bleibt Julien in der Stadt. Als nach über einer Woche die SS noch immer auf sich warten lässt, wähnt sich Julien in Sicherheit und er beschließt, nach Barberie für eine kurze Stippvisite zu fahren, um zumindest ein Abendessen mit seiner Familie zu haben.
Doch als er nach einem anstrengenden Operationstag das Schloss erreicht, findet er ein unbeschreibliches Massaker vor. Deutsche Truppen sind in den Ort eingefallen und haben alle Einwohner aufs Grausamste massakriert. Am Straßenrand liegt noch die Leiche der erschossenen Florence, an einer Mauer knien die verkohlten Überreste der mit einem Flammenwerfer exekutierten Clara. Der bis dato nie aktiv widerständige Julien greift zu der alten Jagdflinte seines Vaters und macht sich die Kenntnis der zahlreichen Geheimgänge zwischen den Wänden des Familiensitzes zu Nutze, um Jagd auf die sich dort verschanzenden Nazis zu machen…
Kritik:
Nach einem Drehbuch von Pascal Jardin („Die Katze“, „Der Sträfling und die Witwe“) hat Robert Enrico ein vielschichtiges Drama geschaffen, das nicht nur als kompromissloser Rachethriller à la Sam Peckinpah daherkommt, sondern ebenso als romantisches Drama und Reflexion über die Folgen eines Krieges.
„Abschied in der Nacht“ beginnt mit dem zermürbenden Alltag in dem Krankenhaus, in dem Dandieu stets bemüht ist, auch die Verwundeten der Résistance zumindest im Keller zu versorgen. Auch wenn das Ende des Krieges bevorsteht, müssen sich die Franzosen in Montauban den Befehlen und Erniedrigungen sowohl der Deutschen als auch der mit ihnen sympathisierenden französischen Beamten und Soldaten fügen. Dass Dandieu so kurz vor dem Sieg der Alliierten seine Liebsten auf so grausame Weise verliert, gehört zu den tragischen Schicksalsmomenten des Dramas. Hätte der Chirurg doch seine Frau und Tochter nur bei sich zuhause gelassen…
Als Dandieu die Leichen seiner erschossenen Tochter und seiner verbrannten Frau sieht, visualisiert er – auch stellvertretend für die Zuschauer – die Vergewaltigung, Flucht und bestialische Ermordung seiner Frau, befeuert so seine eigenen Rachegelüste. In der Folge sehen wir nicht nur, wie Dandieu die alte Flinte seines Herrn aus ihrem Versteck holt und die versiegelte Munition zur Hand nimmt, um es den Mördern seiner Familie heimzuzahlen. Wir bewegen uns mit Dandieu durch die verschachtelten Gänge und Gewölbe des alten Schlosses, in dem er die Wasserversorgung und die Zufahrt sabotiert, aber wir haben auch teil an seinen schönen Erinnerungen, wie er Clara kennengelernt und mit ihr seine schönste Zeit im Leben verbracht hat.
Enrico versteht es dabei, das moralische Dilemma des Arztes zu beschreiben und seine Handlungen nachvollziehbar zu machen. Gleichzeitig stellt „Abschied in der Nacht“ ein beklemmendes Plädoyer gegen die Schrecken des Krieges dar, der viele Wunden in den Seelen der darunter leidenden Menschen hinterlässt und selbst so friedliebende Menschen wie Dandieu zu Killern werden lässt. So nachvollziehbar Philippe Noiret („Cinema Paradiso“, „Der Saustall“) die widersprüchlichen Emotionen seiner von Trauer, Liebe, Hilfsbereitschaft und Rache gezeichneten Figur verkörpert, so liebreizend spielt Romy Schneider („Nachtblende“, „Swimming Pool“) seine über alles geliebte Frau. Weniger gut kommen naturgemäß die Deutschen weg. Enrico zeichnet sie als überhebliches, brutales, geiles und saufendes Pack. Von der so viel gerühmten Disziplin und Ordnung ist hier nichts zu spüren.
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