Chronik einer Liebe

Mit seinen ersten, in den 1940er Jahren entstandenen Kurzfilmen dokumentierte Michelangelo Antonioni noch die armseligen Lebensbedingungen der am Po lebenden Menschen („Gente del Po“) oder die Arbeit von Straßenkehrern in Rom („N. U. – Nettezza urbana“), und obwohl er mit seinen Drehbüchern zu Roberto Rossellinis Frühwerk „Un pilota ritorna“ (1942) und zu Giuseppe De Santis‘ „Caccia tragica“ (Die tragische Jagd, 1947) einen Beitrag zum italienischen Neorealismus leistete, erwies sich sein Langfilmdebüt „Chronik einer Liebe“ (1950) nicht nur als radikale Abkehr von den Motiven des Neorealismus, sondern auch als Hommage an den Film noir.

Inhalt:

Mailand in der frühen Nachkriegszeit. Der reiche Industrielle Enrico Fontana (Ferdinando Sarmi) hat einige Jugendfotos seiner jungen und attraktiven Frau Paola (Lucia Bosè) gefunden, die seine krankhafte Eifersucht anstacheln. Fontana heiratete die damals 20-Jährige vor 7 Jahren, als er sie gerade mal zwei Monate gekannt hatte und die seinetwegen ihre Heimat Ferrara verließ. Nun beauftragt Enrico Fontana ein Mailänder Detektivbüro, mehr über die Jugend und eventuelle frühere Liebhaber seiner Frau herauszufinden. 
Als der Privatdetektiv Morale Carloni (Gino Rossi) in Paolas Heimatstadt Ferrara mit der Suche beginnt, ist er nicht überrascht, dass Paolo in der Schulzeit viele Beziehungen zu Männern hatte, doch nur zwei Freundinnen, Giovanna Carlini und Matilde Galvani (Vittoria Mondello), die ein unzertrennliches Trio bildeten. Als Giovanna unter mysteriösen Umständen nach dem Sturz in einen Fahrstuhlschacht starb, verschwand Paola, während die unverheiratete Matilde unter einem Dach mit einem gewissen Herrn Algardi lebt. 
Von ihm erfährt Carloni, dass Paola ernstlich in einen Studenten namens Guido (Massimo Girotti) verliebt war, der jedoch mit Giovanna liiert war, die wiederum zwei Tage vor ihrer Hochzeit starb. Als Matilde Galvani zurückkehrt, verweigert sie Carloni jegliche Auskunft und macht Algardi später Vorwürfe. Schließlich schreibt sie einen Brief an Guido, um ihn vor dem Schnüffler zu warnen, denn Paola und Guido waren am Tod des Mädchens mitschuldig, ohne dass dies öffentlich bekannt wurde. Als Paola herausfindet, dass ihr Mann Enrico in ihrer Vergangenheit herumwühlen lässt, setzt sie sich augenblicklich mit Guido in Kontakt. Beide treffen sich heimlich in Mailand.
Guido und Paola fürchten sich noch immer vor einer Untersuchung der Umstände, die zum tragischen Tod des Mädchens führten. Die Leidenschaft zwischen den beiden, die aufgrund von Paolas Ehe mit Enrico vorübergehend erkaltet war, flammt nun auf einmal umso stärker wieder auf. Paola ist bereit, ihren Gatten zu verlassen und mit Guido einen Neustart zu wagen. Aber Guido hat kein Geld, und Paola ist es gewohnt, in Luxus zu leben, den Enrico ihr seit Jahren ermöglicht. Paola, die Willensstärkere der beiden, stiftet daraufhin den labilen Guido an, Enrico zu ermorden, um anschließend mit dessen Geld zu fliehen…

Kritik:

Während bei Rossellini und de Sica eher das Elend der Armen und Entrechteten im Mittelpunkt stand, bewegt sich Antonionis Debüt „Chronik einer Liebe“ überwiegend auf dem Parkett der Reichen. Auch wenn Paola aus einfachen Verhältnissen stammt und ihr Geliebter Guido ein erfolgloser Autoverkäufer ist, spielt die Handlung überwiegend in der mondänen Welt von Edel-Restaurants, Modesalons und Luxus-Villen, in die Paola eingeheiratet hat. 
Ironischerweise ist ihr eifersüchtiger Ehemann verantwortlich dafür, dass sich Paola und ihr früherer heimlicher Geliebter nach sieben Jahren wiedersehen und ihre Liebe füreinander neu entdecken und diesmal auch auszuleben gedenken. Allerdings erfordert das eine Tat, zu der der willensschwache und deshalb auch auf ganzer Linie erfolglose Guido nicht fähig ist.
Antonioni arbeitet mit langen Einstellungen, fängt elegant Bilder von Straßen ein und umkreist die Figuren, ohne ihnen wirklich nahezukommen, so wie sie sich auch emotional nicht wirklich aneinanderbinden können. 
Mit Massimo Girotti hat Antonioni den Hauptdarsteller aus Viscontis „Ossessione“ (1943) verpflichten können, der neben dem Film noir aus dem Hollywood der 1940er Jahre eine große Inspiration für Antonionis ersten Langfilm darstellte. Die weibliche Hauptrolle übernahm die damalige Miss Italy Lucia Bosè, die damals zwar noch über keine Schauspielerfahrung verfügte, ihren Part aber überzeugend spielte und anschließend u.a. auch in Antonionis „Die Dame ohne Kamelien“ (1953) und Fellinis „Satyricon“ (1969) zu sehen war.
Antonioni zeichnet ein Portrait Mailands, in deren Urbanität die Menschen verloren wirken, zu keinen echten Gefühlen fähig scheinen und deren Luxus derart oberflächlich bleibt, dass selbst die materialistische, verwöhnte und launenhafte Paola in ihrer Rolle unglücklich bleibt. Erst die Erkenntnis, dass ihr Mann nur dank seiner Rücksichtslosigkeit zu Erfolg und Reichtum gelangte, treibt sie in Guidos Arme. Antonioni schafft hier die Blaupause für seine späteren Werke, wenn er in elegant komponierten Bildern die unvereinbaren Gegensätze in der Liebe zwischen einer wohlhabenden, schönen Frau und einem armen Mann thematisiert.

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