Chungking Express
Nachdem Wong Kar-Wai mit seinen ersten beiden Filmen „As
Tears Go By“ (1988) und „Days of Being Wild“ (1990) vor allem Kenner
des Hongkong-Kinos in den Bann zog, gelang dem hippen Autorenfilmer mit seinem dritten
Film „Chungking Express“ (1994) der internationale Durchbruch – Quentin
Tarantino sei Dank! Der besorgte dem Film nämlich mit Miramax einen
weltweiten Vertrieb und erhielt durch Tarantino selbst nicht bezahlbare
Mundpropaganda. Dabei setzte „Chungking Express“ nur die Art des
Filmemachens fort, die Kar-Wai vor allem mit „Days of Being Wild“ als
individuellen Stil manifestierte, als eine Collage von Einzelschicksalen auf
der Suche nach Liebe.
Inhalt:
Wir befinden uns in den Chungking Mansions in der Nathan
Road, Hongkong. Hier wurde der Polizist #223 mit Namen He Qiwu (Takeshi Kaneshiro)
nach fünf Jahren am 1. April von seiner Freundin May verlassen. Jetzt kauft er
sich täglich eine Dose Ananas mit dem Verfallsdatum zum 1. Mai. Das ist nicht
nur sein Geburtstag, sondern auch jenes Datum, an dem seine Freundin entweder
zu ihm zurückkehren oder ihre Liebe für immer beendet sein wird. Doch die ist
bereits wieder liiert und will von He Qiwu nichts mehr wissen.
In der Bar Bottoms
Up Club trifft er auf eine Frau mit einer blonden Perücke (Brigitte Lin),
die in dubiose Geschäfte verwickelt ist, mit ihrer Pistole um sich schießt und
stets sowohl eine Sonnenbrille als auch einen Regenmantel trägt, weil man ja
nie weiß, ob die Sonne scheint oder es doch regnet. Sie sollte im Auftrag eines
kaukasischen Drogenbarons (Thom Baker) mit einigen indischen
Einwanderern ein größeres Kontingent Drogen schmuggeln, wurde von ihren
Partnern, denen sie von Anbeginn misstraute, aber hintergangen und irrte auf
der Suche nach ihren Co-Schmugglern lange vergeblich durch die
Abfertigungshalle des Flughafens in Hongkong. Da die immer noch aufgebrachte blondperückte
Dame nichts von He Qiwu wissen will, bleibt #223 nichts anderes übrig, als eine
stattliche Anzahl verdorbener Ananas-Dosen zu verzehren.
In seiner
Stamm-Imbissbude trifft #223 auf einen anderen Polizisten mit der Dienstnummer #663
(Tony Leung Chiu-wai), der ebenfalls unter Liebeskummer leidet, nachdem
er von seiner Freundin, einer Stewardess, verlassen wurde. Dafür hat sich Faye
(Faye Wong), die junge Tochter des Imbissbuden-Besitzers, die gern laut
Musik hört (bevorzugt „California Dreamin‘“ von The Mamas & The Papas)
in #663 verguckt, nimmt sich seinen Wohnungsschlüssel, den die Stewardess im
Imbiss für ihn hinterlegt hat, und schleicht sich regelmäßig heimlich dorthin,
um das Bett mit einer Lupe abzusuchen, zu putzen und Einrichtungsgegenstände
umzustellen. Doch da #663 eher zögerlich auf ihre Zuneigung reagiert, wandert
Faye nach Kalifornien aus…
Kritik:
Das Konzept der losen, episodenhaften Erzählung gerade aus „Days
of Being Wild“ greift Wong Kar-Wai in „Chungking Express“
noch radikaler auf, stehen nun mit einer von ihren Partnern betrogenen Drogenschmugglerin,
zwei Polizisten, die sich vor allem über ihre Dienstnummern identifizieren, und
eine liebeskranke Imbiss-Angestellte gleich mehrere Figuren im nicht näher
ausgemachten Fokus des Episoden-Reigens.
Wong Kar-Wai scheint sich nicht
besonders für sie zu interessieren, gewinnen sie doch in der losen, weitgehend
spannungslosen Erzählung kaum Kontur und bieten wenig Identifikationspotentiale
für die Zuschauer. Es ist vielmehr der audiovisuelle Stil, der „Chungking
Express“ seinen ureigenen Sog verdankt, denn in der postmodernen Symbiose
von Godards Ästhetik bis hin zur Video-Clip-Ästhetik von MTV bietet Kar-Wais
Film ein erneut melancholisches, aber poetisches Zusammentreffen einsamer, sich
nach Liebe sehnender Menschen, die dem großstädtischen Moloch nicht entfliehen
können und einsam ihren neurotischen Neigungen nachgehen, weil sie die Liebe,
selbst wenn sie bereits in ihren eigenen vier Wänden nistet, nicht wahrnehmen,
so sehr sind sie sich selbst entfremdet.
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