Dogville

Schon mit seinen früheren Filmen hat Dogma-Mitbegründer Lars von Trier („Melancholia“) Kritiker und Publikum herausgefordert, sich mit seinen stetig wandelbaren Inszenierungsformen auseinanderzusetzen, wobei er vor allem die Handkamera als bevorzugtes Mittel einsetzte, oftmals schmerzliche Geschichten wie die seiner „Golden Heart“-Trilogie („Breaking the Waves“, „Die Idioten“, „Dancer in the Dark“) einzufangen. Mit „Dogville“ (2003), dem Auftakt seiner „Amerika“-Trilogie, geht der dänische Filmemacher noch einen Schritt weiter, führt sein Publikum durch ein dreistündiges Martyrium auf einer abgefilmten Theaterbühne.

Inhalt:

Amerika zur Zeit der Großen Depression. Um sich die Zeit zu vertreiben und eine Entschuldigung dafür zu haben, nicht an seinem Roman zu arbeiten, für den er bisher nur die beiden Worte „groß“ und „klein“ zu Papier gebracht hat, ist der selbsternannte Schriftsteller Tom Edison (Paul Bettany) dazu übergegangen, im Versammlungsraum von Dogville, einem kleinen Dorf in den Rocky Mountains, Vorträge zur Stärkung der Moral zu halten. 
Als er noch ein passendes Bild für seine These sucht, dass die Menschen Probleme im Umgang mit Geschenken hätten, taucht mit Grace (Nicole Kidman) eine verängstigte junge Frau auf, die offenbar von Gangstern verfolgt wird. Nachdem Tom sie in der alten Mine versteckt hat, bekommt er von dem Gangsterboss eine Karte mit seiner Telefonnummer überreicht und die Aussicht auf eine schöne Belohnung.
Natürlich muss die Dorfgemeinschaft darüber entscheiden, ob Grace bleiben darf. 
Sie bekommt zwei Wochen Zeit, sich in Dogville zu bewähren, und folgt Toms Rat, sich durch kleine Arbeiten das Wohlwollen der Gemeinschaft zu verdienen. Grace darf bleiben, bekommt sogar ein kleines Einkommen, mit dem sie sich nach und nach Porzellanfiguren kauft, und ein eigenes Bett. Schließlich gesteht ihr Tom am Nationalfeiertag, dass er sich in sie verliebt habe, was Grace erwidert. Als die Polizei jedoch ein Fahndungsplakat von Grace aufhängt und schließlich noch eines, auf dem eine Belohnung für Grace ausgesetzt ist, beginnt die Stimmung in Dogville zu kippen. 
Zwar glaubt die Gemeinde nicht, dass Grace an den Banküberfällen beteiligt gewesen sein kann, doch halten sie die Beherbergung einer polizeilich Gesuchten für riskant. Tom kann Grace überzeugen, als Gegenleistung mehr zu arbeiten, doch wird Grace zunehmend ausgenutzt, von den Männern sexuell belästigt und sogar vergewaltigt. Tom ist verzweifelt, dass er der einzige Mann in Dogville ist, der nicht mit Grace schlafen darf, ermöglicht ihr aber scheinbar die Flucht. Doch Ben (Zeljko Ivanek) bringt Grace mit seinem Lastwagen nicht ans gewünschte Ziel, sondern bringt sie, nachdem er sich an ihr auf der Ladefläche seines Lastwagens vergangen hat, wieder nach Dogville zurück…

Kritik:

Für den Auftaktfilm seiner „Amerika“-Trilogie, die mit „Manderlay“ (2005) fortgesetzt wurde, während der geplante Abschlussfilm „Washington“ wohl nicht mehr realisiert wird, hat das Enfant terrible der Filmwelt die denkbar kärgste Kulisse geschaffen, die für einen Kinofilm eingesetzt werden kann, eine 50x50 Meter große Theaterbühne, auf der die Umrisse der Häuser nur aufgezeichnet sind und durch wenige Requisiten wie eine Wegbegrenzung, einzelne Wandfragmente, Felsen im Hintergrund, eine Orgel und eine Glocke ergänzt wird. So wird die Aufmerksamkeit über volle drei Stunden nur auf die exquisiten Darsteller fokussiert, darunter etliche Lars-von-Trier-Veteranen wie Zeljko Ivanek, Jean-Marc Barr, Udo Kier und Stellan Skarsgård, aber auch Hollywood-Prominenz wie Lauren Bacall, Philip Baker Hall, James Caan, Ben Gazzara, Patricia Clarkson, Chloë Sevigny und John Hurt als allwissender Erzähler. 
In der Form von Berthold Brechts epischem Theater erzählt von Trier eine packende Rape-and-Revenge-Geschichte mit einer überragenden Nicole Kidman in der Hauptrolle als eine Frau, die sich für nichts zu schade ist, um in der ihr fremden Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden, für ihre Gutmütigkeit aber hart bestraft wird. Allein die Tatsache, dass sie die Tochter eines Gangsterbosses ist, verschafft ihr schließlich die Möglichkeit der Rache. 
So bietet „Dogville“ unkonventionell inszeniertes, großartig gespieltes und geschickt fotografiertes und akustisch unterlegtes Drama vor ungewohnter Kulisse.

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