Gewalt und Leidenschaft
Der aus altem italienischem Adel stammende Luchino Visconti (1906-1976) zählt bis heute zu den einflussreichsten und bedeutendsten Filmemachern. Filme wie „Ossessione“, „Die Verdammten“, „Tod in Venedig“, „Ludwig II.“ und „Der Leopard“ zählen zu den großen Meisterwerken der Filmgeschichte. Auch sein vorletzter Film, das 1974 entstandene Drama „Gewalt und Leidenschaft“, darf getrost in den Kanon seiner ästhetisch vollkommen inszenierten Werke aufgenommen werden und war nach dem gefeierten „Der Leopard“ (1963) die zweite Zusammenarbeit zwischen Visconti und dem Hollywood-Star Burt Lancaster.
Inhalt:
Rom in den 1970er Jahren. Ein alternder US-Kunstprofessor Professor (Burt Lancaster) lebt zurückgezogen in seinem opulenten Palazzo, wo er sich bevorzugt mit in prunkvollen Regalen und auf Möbeln stapelnden Büchern und alten Gemälden umgibt. Kontakt zu anderen Menschen pflegt er eigentlich nur durch seine beiden langjährigen Bediensteten, bis eines Tages die mondäne Marchesa Bianca Brumonti (Silvana Mangano) in seiner Wohnung steht.
Sie möchte die Dachgeschosswohnung mieten, die dem Professor bislang als Stauraum diente und die er in nächster Zeit vor allem als Aufbewahrungsort für seine geliebten Bücher zu nutzen beabsichtigt. Obwohl er sich hartnäckig weigert, lässt die Marchesa nicht locker und setzt ihm durch ihre offenherzige Tochter Lietta (Claudia Marsani), deren Verlobten Stefano (Stefano Patrizi) und ihren eigenen Liebhaber Konrad (Helmut Berger) so lange zu, bis sie ihren Willen durchsetzen kann – nicht zuletzt durch das Geschenk eines Bildes, das der Professor nach einiger Überlegung selbst zu kaufen beabsichtigt hatte.
Der über ein Jahr laufende Mietvertrag ist noch nicht mal unterschrieben, da werden in der Dachgeschosswohnung auch schon Wände eingerissen, dass der Putz von den Decken in der Wohnung des Professors fällt und Wasser die Wände hinunterläuft. So sehr ihm die jungen Leute auch auf die Nerven fallen, schätzt er doch ihre Gegenwart, lädt sie zum Essen ein, hört sich mit Konrad Mozart-Platten an und plaudert mit ihm über die englischen Maler des 18. Jahrhunderts. So wird der zuvor zurückgezogen lebende Professor immer mehr in eine ihm neue Welt hineingezogen und mit den Leidenschaften junger Menschen konfrontiert.
Kritik:
Nach der kräftezehrenden Arbeit an dem vierstündigen Historienepos „Ludwig II.“ und einem erlittenen Schlaganfall thematisierte Visconti in seinem vorletzten Film einmal mehr die Begegnung von Menschen unterschiedlichen Alters und Milieus. „Gewalt und Leidenschaft“ darf zudem ein Spiegel der Beziehung zwischen dem Filmemacher und seinem langjährigen, fast 40 Jahre jüngeren Lebenspartner Helmut Berger betrachtet werden. So zählen gerade die Gespräche über Mozarts Musik und die englische Malerei zu den bewegendsten Momenten zwischen dem Professor und dem jungen Lebemann Konrad, der sich wegen seiner Spielschulden immer wieder verstecken und einmal auch heftige Prügel von seinen Gläubigern einstecken muss.
Der Professor, der sich so an seine Einsamkeit gewöhnt hat, ist zunehmend fasziniert von der Lebensfreude der Jugend und sieht in der Familie der Marchesa schließlich seine eigene. So stellt Viscontis Alterswerk vor allem eine einfühlsame Reflexion über den Zusammenprall unterschiedlicher Generationen dar und offenbart, wie viel jede Generation von der anderen doch lernen kann. Das intime Kammerspiel hat Visconti in einer gewohnt prunkvollen Kulisse inszeniert, die bereits von Verfall gekennzeichnet ist und doch einer gewalttätigen Veränderung unterworfen wird. Alte Mauern werden wie überholte Vorstellungen eingerissen, der Weg für die Moderne freigemacht, die jedoch auch mit Skepsis betrachtet wird.
Visconti war durch Ereignisse wie dem Terroranschlag von Brescia durch Neofaschisten am 28. Mai 1974 sowie Entführungen durch die Roten Brigade zutiefst beunruhigt und versuchte mit seinem Film auch, ein Klima von Terror und Verschwörungen zu vermitteln.
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