Breaking the Waves

Mit seiner „Europa“-Trilogie hat der dänische Filmemacher Lars von Trier zu Beginn seiner Karriere seine persönliche Geschichte des Europas im 20. Jahrhundert abgeliefert und die Überbleibsel archaischer Gesellschaftsformen und den Verfall Europas mit sehr symbolträchtigen, zwischen Surrealismus, Dokumentarfilm und Film noir pendelnden Stilen thematisiert. Sein 1996 entstandenes Drama „Breaking the Waves“ wiederum markiert den Beginn einer neuen Trilogie, die wegen der Nähe zu dem Märchen „Goldherz“ folglich als „Golden Heart“-Trilogie bekannt geworden ist. In diesem ungewöhnlich zugänglichen Film feierte die Royal-Shakespeare-Company-Schauspielerin Emily Watson ihr herausragendes, mit einer Oscar-Nominierung bedachtes Filmdebüt. 

Inhalt: 

Die junge Bess McNeill (Emily Watson) lebt in den 1970er Jahren in einer tiefreligiösen calvinistischen Gemeinde an der Küste Schottlands. Frauen haben hier wenig zu sagen, und wenn sie es wagen beispielsweise wagen sollten, mitten im Gottesdienst das Wort zu ergreifen, droht ihnen sogar die Exkommunikation. Mit den gesellschaftlichen Regularien hat Bess so ihre Probleme. Zwar hält auch sie regelmäßig Zwiesprache mit dem Herrn, doch öffnet sich ihr Herz auch für andere Menschen. 
Als die etwas einfältig wirkende junge Frau dem verknöcherten Ältestenrat verkündet, sich mit dem gemeindefremden Bohrinsel-Arbeiter Jan Nyman (Stellan Skarsgård) zu verheiraten, ist die Entrüstung in der Gemeinde natürlich groß, doch Bess lässt sich davon nicht abschrecken und feiert wie geplant ihre Hochzeit. Bess‘ Schwägerin Dodo (Katrin Cartlidge) zeigt sich in ihrer Rede etwas skeptisch, da sie Jan nicht kenne, aber im Gegensatz zu Bess’ ungnädiger Mutter (Sandra Voe) und ihrem noch unbarmherzigeren Großvater (Phil McCall) schließt Dodo ihren Schwager bald auch in ihr Herz. 
Als Jan saisonbedingt nach wenigen Wochen wieder zurück auf seine Bohrinsel fliegt, kommt Bess mit der Situation schwer zurecht und betet zu Gott, dass Jan möglichst bald wieder zu ihr zurückkommen möge. Bei einem Unfall auf der Bohrinsel leistet Jan seinem Kollegen sofort erste Hilfe, wird aber anschließend selbst so schwer am Kopf verletzt, dass er vom Hals abwärts gelähmt ist. Die behandelnden Ärzte gehen nicht davon aus, dass sich sein Zustand wesentlich verbessern wird. 
So glücklich Bess einerseits darüber ist, dass Jan noch lebt, macht sie sich selbst heftigste Vorwürfe und fühlt sich durch ihre letztlich erfüllten Gebete verantwortlich für Jans Zustand. Jan möchte jedoch nicht länger bemitleidet werden und verlangt von Bess, dass sie sich einen Liebhaber sucht, damit sie in sexueller Hinsicht ein erfülltes Leben führen kann, das er selbst ihr nach seinem Unfall nicht mehr bieten könne. Da sich Bess nicht vorstellen kann, mit fremden Männern zu schlafen, betont Jan, dass er nur durch die Vorstellung der körperlichen Liebe noch am Leben sein könne, weshalb Bess ihm von ihren sexuellen Erlebnissen berichten soll. Nach einem verpatzten ersten Versuch mit Jans behandelnden Arzt Dr. Richardson (Adrian Rawlins) beginnt Bess, ihre Freier auf einem nahegelegenen Schiff zu rekrutieren, doch das hat fatale Konsequenzen… 

Kritik: 

Lars von Trier und sein Kameramann Robby Müller („Paris, Texas“, „Down By Law“) lassen es sich zwar nicht nehmen, gerade in den nummerierten Kapiteltableaus postkartenidyllische Motive der rauen wie schönen schottischen Landschaft einzufangen, doch innerhalb dieser kleinen Gemeinde an der Küste herrschen die Männer der streng puritanischen und calvinistischen Free Church of Scotland und diktieren das Leben in der Gemeinschaft mit unzähligen Verboten und zensierten Lebensvorstellungen. Das Tragen von Schmuck und Tanzen sind dabei ebenso untersagt wie das Läuten von Kirchenglocken. In diesem radikalisierten Klima stellt Bess eine erfrischende Ausnahmeerscheinung dar. Auch wenn sie naiv oder sogar etwas beschränkt wirkt, ist sie offen für Neues und vor allem offen für die Liebe. 
Emily Watson („Punch-Drunk Love“, „Gosford Park“) ist die ideale Besetzung mit ihren unschuldig dreinblickenden großen Augen und dem unschuldigen, breiten Lächeln, mit dem sie der Welt begegnet. „Breaking the Waves“ ist allerdings nicht nur eine leidenschaftliche, wenn auch tragisch endende Liebesgeschichte, sondern auch ein Film darüber, wie fanatische Gemeinschaften das individuelle Glück beschneiden. 
Mit seinem mystisch anmutenden Schluss hat Lars von Trier allerdings eine versöhnliche Lösung für das Zwiegespräch zwischen Mensch und Gott gefunden. Mit „Idioten“ (1998) und „Dancer in the Dark“ (2000) schloss der Filmemacher seine Trilogie über Frauen ab, die sich trotz heftiger Rückschläge nie ihre Hilfsbereitschaft und Gutmütigkeit verliert. 

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