Zwischen Himmel und Hölle

Akira Kurosawa ist in der westlichen Hemisphäre zwar vor allem für seine einflussreichen Samurai-Filme wie „Die sieben Samurai“, „Yojimbo“, „Ran“ und „Kagemusha“ bekannt, hat während seiner über fünfzigjährigen Karriere aber viele weitere Meisterwerke in anderen Genres geschaffen. Dazu gehören neben seinen Literatur-Adaptionen vor allem die weniger bekannten Film noirs. Nach „Engel der Verlorenen“ (1948), „Ein streunender Hund“ (1949) und „Die Bösen schlafen gut“ (1960) legte Kurosawa 1963 mit „Zwischen Himmel und Hölle“ seinen letzten, aber definitiv eindrucksvollsten Beitrag zum Genre vor. 

Inhalt: 

Nachdem National Shoes, Japans größter Schuhhersteller, im letzten Geschäftsjahr deutliche Gewinneinbußen verzeichnen musste, treffen sich Marketingleiter Kamiya (Jun Tazaki), Chefdesigner Ishimaru (Nobuo Nakamura) und Manager Baba (Yûnosuke Itô) zuhause bei Manager und Anteilseigner Kingo Gondo (Toshirô Mifune) in Yokohama. Zusammen mit Gondos ehrgeizigen Assistenten Kawanishi (Tatsuya Mihashi) überlegt die Führungsriege, wie sie den altbackenen Vorstandschef entmachten können, um mit billiger produzierten Schuhen die Konkurrenz abzuhängen. 
Wenn Gondo den Kurs seiner Mitstreiter unterstützt, hätten sie genug Anteile zusammen, um ihre neue Strategie auch gegen den Alten durchzusetzen, doch Gondo zeigt sich erbost über das Verhalten seiner Kollegen und wirft sie hinaus. Tatsächlich hat Gondo heimlich so viele Anteile von National Shoes aufgekauft, dass er sich auch allein in der Firma behaupten kann, worauf er mit seiner Frau Reiko (Kyôko Kagawa) und Kawanishi feierlich anstoßen will. 
Er beauftragt Kawanishi damit, sofort nach Osaka zu fliegen und das Geschäft unter Dach und Fach zu bringen, für das Gondo seinen ganzen Besitz als Sicherheit hinterlegt hat. Doch als Kawanishi aufbrechen will, erhält Gondo einen Anruf. Eine anonyme Stimme informiert den Geschäftsmann, dass man soeben seinen Sohn Jun entführt habe, und verlangt 30 Millionen Yen Lösegeld. Als Jun überraschend vom Spielen zurück ins Haus kommt, ist die Erleichterung der Eltern zunächst groß, doch dann realisiert man, dass die Entführer Jun mit Shinchi (Masahiko Shimazu), dem Sohn von Gondos Chauffeur Aoki (Yutaka Sada), verwechselt haben müssen. Nun hadert Gondo mit der Entscheidung, ob er das Lösegeld auch für den Sohn seines Chauffeurs bezahlen soll… 

Kritik: 

Der US-amerikanische Schriftsteller Salvatore Albert Lombino hat vor allem unter seinem Künstlernamen Evan Hunter und dem Pseudonym Ed McBain etliche Kriminalromane verfasst, unter denen die über 50 Jahre (!) entwickelte Reihe um das 87. Polizeirevier am bekanntesten wurde. McBain schrieb aber auch Drehbücher (u.a. zu Alfred Hitchcocks „Die Vögel“ und Richard Quines „Fremde, wenn wir uns begegnen“) und lieferte die literarischen Vorlagen für Filme wie „Die Saat der Gewalt“ (1955), „Die jungen Wilden“ (1960) und auch zu Akira Kurosawas „Zwischen Himmel und Hölle“ (1963). 
Die Geschichte eines Mannes, der vor der Entscheidung steht, seine gesamte Existenz gegen das Leben eines unterprivilegierten Kindes einzutauschen, ist dabei so zeitlos wie universell. Kurosawa inszeniert die erste Stunde seines Dramas wie auf einer Theaterbühne mit einem überschaubaren Ensemble, spielt es sich doch fast ausschließlich im Wohnzimmer einer Luxus-Wohnung ab, von dem aus man einen herrlichen Blick über die Stadt hat. Mit der Lösegeldforderung wird das Leben von Gondo und seiner Familie aber von einer Sekunde auf die andere auf den Kopf gestellt, wobei wenig später die Erleichterung, dass nicht sein Sohn, sondern der seines Chauffeurs entführt worden ist, das folgende Dilemma nur noch schärfer akzentuiert. Kurosawa arbeitet die Diskrepanz zwischen Arm und Reich, zwischen „High and Low“ – wie der Film in der englischen Fassung betitelt wird -, zwischen dem gottgleichen Himmel und der Hölle der Unterprivilegierten, zwischen Altruismus und Egoismus auch stilistisch hervorragend aus. 
Das macht sich in den Kameraeinstellungen und der Lichtgestaltung ebenso bemerkbar wie in dem jazzig angehauchten Score von Masaru Satô. Wenn Gondo vor der Entscheidung steht, seine gesamte wirtschaftliche Existenz gegen das Leben eines einfachen Kindes einzutauschen, geht es auch um das Spannungsfeld zwischen Kapitalismus und Menschlichkeit, Moral und Korrumpierbarkeit. 
Kurosawa verlässt nach einer Stunde die enger werdenden Räume der Luxuswohnung und schickt die ermittelnden Cops in die pulsierenden Straßen von Yokohama, womit er eine ganz neue Dynamik erzeugt, die in der Gegenüberstellung von Gondo mit dem Entführer gipfelt. Selten wurde die Frage über den Wert eines Menschenlebens so eindrucksvoll thematisiert wie in diesem Meisterwerk, das zurecht zu den wichtigsten und besten Werken des Meisterregisseurs zählt. 

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