Rhapsodie im Augst

Nach seinen überaus produktiven 1950er Jahren, in denen Meisterwerke wie „Rashomon“ (1950), „Einmal wirklich leben“ (1952), „Die sieben Samurai“ (1954) und „Das Schloss im Spinnwebwald“ (1957) entstanden sind, und der ersten Hälfte der 1960er Jahre mit „Yojimbo“, „Sanjura“, „Zwischen Himmel und Hölle“ und „Rotbart“ inszenierte der japanische Filmemacher Akira Kurosawa (1910-1998) nur noch alle fünf Jahre einen Film, mal intime Dramen wie „Dodeskaden“ und „Dersu Uzala“, dann wieder bildgewaltige Schlachtenepen wie „Kagemusha“ und „Ran“. Als hätte Kurosawa geahnt, dass ihm nicht mehr viel Zeit bliebe, ließ er sich in den 1990er Jahren nicht mehr so viel Zeit für seine Projekte. So entstand nur ein Jahr nach seinem visuell berauschenden, sehr persönlichen Drama „Akira Kurosawas Träume“ (1990) das berührende und versöhnende Drama „Rhapsodie im August“

Inhalt: 

Nagasaki, August 1990: Die betagte Japanerin Kane (Sachiko Murase) hat gerade Besuch von ihren vier Enkelkindern, deren Eltern in die USA gereist sind, als sie erfährt, dass ihr älterer Bruder, der vor langer Zeit nach Amerika ausgewandert ist und es dort zu Reichtum gebracht hat, auf Hawaii im Sterben liegt. Vor seinem Tod möchte er ein letztes Mal seine Schwester sehen. 
Es naht allerdings auch der Todestag von Kanes verstorbenem Mann, der eines der unmittelbaren Opfer des Atombombenabwurfs auf Nagasaki am 9. August 1945 war, und dieser Gedenktag beschäftigt auch ihre Enkel, die den Einkaufsbummel in Nagasaki auch dazu nutzen, denkwürdige Stätten dieser gewaltigen Katastrophe zu besuchen. Während die Kinder Feuer und Flamme sind, ihre wohlhabenden US-amerikanischen Verwandten kennenzulernen, zeigt sich Kane eher skeptisch und distanziert. Denn so sehr sie offensichtlich ihre innigen Zeiten mit den fröhlichen jungen Leuten genießt, so ist sie doch – besonders in diesen Tagen Anfang August – zutiefst in ihre abgründige Trauer versunken, dessen alljährliche Zelebrierung sich gerade in der gesamten Region anbahnt. 
Die traurige Nachricht vom nahenden Tod ihres Bruders weckt in ihr Erinnerungen an die Vergangenheit und die Geschichte ihrer Familie. Die ehemalige Lehrerin erzählt den Kindern von den Schrecken des Krieges und dem Leid, das durch den Atombombenabwurf im August 1945 über sie kam. Als ihr amerikanischer Neffe Clark (Richard Gere) davon erfährt, dass Kane die Reise nach Hawaii nicht antreten will, begibt er sich nach Japan, um gemeinsam mit der Familie die lange verdrängte Vergangenheit aufzuarbeiten, indem er mit seinen japanischen Verwandten den mit einem Denkmal versehenen Ort besucht, an dem Kanes Mann gestorben ist… 

Kritik: 

Mit der Verfilmung von Kiyoko Muratas Roman „Nabe no Naka“ legte Kurosawa 1991 seinen vorletzten Film vor (sein letztes Werk „Madadayo“ folgte 1993), der sich sichtlich um eine Versöhnung mit einem tragischen Kapitel der japanischen Geschichte bemüht. Als Kurosawa 1943 seine eigene Regiekarriere startete, waren seine Filme noch stark von propagandistischen Leitlinien zunächst der japanischen Regierung, dann der US-amerikanischen Besatzer geprägt. Das Trauma der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki von 1945 sitzt natürlich bei den Japanern auch nach über vierzig Jahren tief, aber Kurosawa setzt in „Rhapsodie im August“ nicht nur auf Trauerbewältigung der Hinterbliebenen und Nachkriegsgenerationen, sondern vor allem auf Aussöhnung. 
Er fügt der tatsächlichen Annäherung zwischen Japan und den USA ein filmisches Äquivalent hinzu, das tief in die Gefühle der Trauernden eintaucht und diese sowohl für Kanes Enkelkinder als auch das Publikum transparent macht. Kanes Enkel wachsen nämlich wie selbstverständlich mit den Insignien der amerikanischen Kultur auf, tragen T-Shirts mit Emblemen vom M.I.T. oder dem Schriftzug von New York, sehnen sich danach, dieses Land mit eigenen Augen kennenzulernen, nicht nur von Fotos und Berichten, Spielfilmen und Fernsehserien, Werbung und Reportagen. Sie sind aber einfühlsam genug, um die Gefühle und Bedenken ihrer Großmutter ernst zu nehmen und auf Entdeckungsreise in die Vergangenheit zu gehen. 
Indem er den vier Kindern und Jugendlichen folgt, nimmt Kurosawa auch sein Publikum an die Hand, die mit Kunstwerken internationaler Künstler versehenen Erinnerungsorte aufzusuchen. Wie so oft in seinen Filmen steht die Natur auch bei „Rhapsodie im August“ immer wieder im Mittelpunkt, wenn die Kamera über verschiedene Wolkenformationen gleitet, an einem Wasserfall Station macht oder einen Platzregen im Gebirge einfängt. Zu dem fast schon meditativen, humanistischen Film passt auch der Soundtrack von Shinichirō Ikebe und Antonio Vivaldis „Stabat Mater“

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