Rotbart
Seit seinem Regiedebüt mit „Judo Saga – Die Legende vom großen Judo“ (1943) hat Akira Kurosawa mit Werken wie „Engel der Verlorenen“, „Das stumme Duell“, „Ein streunender Hund“, „Rashomon“, „Einmal wirklich leben“, „Die sieben Samurai“ und „Yojimbo“ auch westliche Filmschaffende und Cineasten für sich und das japanische Kino begeistern können. 1965 schuf er sein bis dato aufwendigstes Werk, das dreistündige Drama „Rotbart“, das nicht nur Kurosawas letzte Arbeit in Schwarzweiß werden sollte, sondern auch die letzte Zusammenarbeit mit seinem Lieblingsdarsteller Toshiro Mifune, der seit „Engel der Verlorenen“ (1948) immerhin bei 16 von 17 Filmen Kurosawas mitwirkte.
Inhalt:
Japan in den 1860er Jahren: Der aufstrebende Arzt Dr. Noboru Yasumoto (Yûzô Kayama) möchte gerne Leibarzt des Shogun werden und hat bereits eine Ausbildung in Nagasaki absolviert. Als er sich bei einem Armenhospital melden soll, ist er mehr als verwundert, dass er auf Veranlassung von Dr. Kyojio Niide (Toshirô Mifune), dem Leiter der Klinik, hierher versetzt worden ist, um eine besondere Zusatzausbildung zu erhalten. Yasumoto sabotiert seinen Dienst, indem er sich über die schlechte Bezahlung sowie die miserable Unterbringung beschwert. Außerdem glaubt er, Dr. Niide wolle seine Forschungsergebnisse stehlen, die er durch seine Arbeit bei holländischen Medizinern erzielt hat.
Doch das Bild des despotischen „Rotbarts“, wie Dr. Niide auch genannt wird, beginnt schnell zu bröckeln, denn Yasumoto erfährt recht schnell, wie aufopferungsvoll er sich um die kranken Menschen am Rande der Gesellschaft kümmert.
Der anfangs noch hochnäsig auftretende Jungarzt lernt durch die Begegnung mit den kranken Menschen, wie wertvoll jedes einzelne Leben ist und wie man als Arzt dafür sorgen kann, dieses so erträglich wie möglich zu gestalten.
Die zwölfjährige Otoyo, die Rotbart aus einem Bordell gerettet hat und der er geduldig die nötige Medizin aufdrängt, wird Yasumotos erste Patientin. Sie ist es auch, die den Arzt pflegt, als er selbst erkrankt, was ihren eigenen Heilungsprozess beschleunigt. Andere Patienten wie der sterbende Rokusuke (Kamatari Fujiwara) und der großzügige Sahachi (Tsutomu Yamazaki) geben ihre lang bewahrten Geheimnisse preis. Als Yasumoto gebeten wird, seine Mutter zu besuchen, erfährt er von ihr, dass seine frühere Freundin Chigusa ein Kind mit ihrem neuen Liebhaber habe und ihre Schwester Masae (Yôko Naitô) geeignet sei, Yasumotos Frau zu werden…
Kritik:
Zwei Jahre hat Kurosawa gebraucht, um „Rotbart“ zu realisieren, wobei er viel Aufwand dafür betrieb, eine ganze Kleinstadt samt Hinterhöfen und Seitenstraßen nach authentischem Vorbild aufzubauen, obwohl ein Großteil davon nicht im Film zu sehen ist. Dieser Perfektionismus überträgt sich auch auf dem Film, der wie zuvor „Sanjuro“ und später „Dodeskaden – Menschen im Abseits“ nach Geschichten von Shûgorô Yamamoto entstanden ist dessen Handlungsstrang über das junge, aus dem Bordell gerettete Mädchen, auf Fjodor Dostojewskis Roman „Erniedrigte und Beleidigte“ basiert.
Wie so oft in Kurosawas Filmen wird nicht nur die Beziehung zwischen Schüler und Lehrer thematisiert, sondern eine sehr humanistische Botschaft vermittelt, die den Wert eines Menschenlebens nicht daran bemisst, ob der Mensch arm oder reich ist.
Kurosawa nimmt sich viel Zeit, den irritierten Neuankömmling durch die verschiedenen Bereiche des Armenhospitals zu führen, wobei Yasumoto der Eindruck vermittelt wird, wie schrecklich es an diesem Ort sei und wie herrisch sich „Rotbart“ aufführe. Bevor der Zuschauer also erstmals Dr. Niide zu sehen bekommt, hat er bereits ein nicht allzu schmeichelhaftes Bild von ihm, das allerdings im Verlauf der nachfolgenden Handlung revidiert wird. „Rotbart“ wirkt stellenweise wie eine – wenn auch stilvoll inszenierte – Krankenhaus-Soap, in der wir verschiedene Menschen und ihre oft tragischen Schicksale kennenlernen. Die Auflösung dieser Dramen wirkt dabei ebenso überraschend wie beispielsweise Rotbarts energischem Auftreten einiger Schläger gegenüber, die verhindern wollen, dass Otoyo das Bordell verlässt, und die Rotbart in effektiver Martial-Arts-Manier zu Boden schickt, ihnen Kiefer ausrenkt, Arme und Beine bricht, nur um sie anschließend wieder – so weit wie möglich – einzurenken. Das ist von Kurosawa und seinen Kameramännern Asakazu Nakai („Ran“, „Die sieben Samurai“) und Takao Saitô („Akira Kurosawas Träume“, „Kagemusha – Der Schatten des Kriegers“) glänzend inszeniert und ein letztes Mal großartig von Toshiro Mifune gespielt.
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