Fontane Effi Briest
Wenn dem während seiner 37 Lebensjahre überaus produktiven
Autorenfilmer Rainer Werner Fassbinder eine literarische Vorlage zusagte,
weil das zentrale Thema seiner eigenen Weltsicht entsprach, scheute er keine
Mühen, dieses Projekt nach seinen Vorstellungen umzusetzen. Das prominenteste
Beispiel dürfte die 1974 realisierte Verfilmung von Theodor Fontanes
Klassiker „Effi Briest“ sein, die vor allem Hauptdarstellerin Hanna
Schygulla zu einem sehenswerten Ereignis machte.
Inhalt:
Die gerade mal siebzehnjährige Effi Briest (Hanna
Schygulla) wird durch die Initiative ihrer Eltern (Lilo Pempeit und Herbert
Steinmetz) mit dem zwanzig Jahre älteren Baron Geert von Innstetten (Wolfgang
Schenck) verheiratet, doch fühlt sich Effi in ihrer neuen Heimat, einem
kleinen Ostsee-Badeort, sehr schnell einsam, ohne sich immer ganz
einzugestehen, dass sie von ihrem prinzipientreuen und ehrgeizigen Mann, trotz
erwiesener Zuneigung, nicht wirklich geliebt wird.
Zwar versucht er sichtlich, ihr Leben angenehm zu gestalten,
doch weisen seine Bemühungen oftmals einen eher erzieherischen Charakter auf.
Johanna (Irm Hermann), der Hausangestellte des
Barons, ist die Distanz zu Effi besonders deutlich anzumerken. Aber auch die
Bekannten des Barons wertet Effi eher als mittelmäßige Menschen ohne jegliche
Besonderheiten, die bei ihr keine Neugier wecken können. Selbst der Sängerin
Marietta (Barbara Valentin) muss Effi konstatieren, dass sie beim Singen
so gefasst und sicher wirke.
Kein Jahr später gebiert Effi die Tochter Annie, die sie der
Kinderfrau Roswitha (Ursula Strätz) anvertraut, nachdem sie diese als
Trauernde auf dem örtlichen Friedhof kennen lernt und als ihre eigene,
unabhängige Wahl in den Haushalt aufnimmt.
Im Rahmen der häufigen beruflichen Abwesenheiten des Barons freundet sich Effi
mit der Zeit näher als beabsichtigt mit Major Crampas (Ulli Lommel) an,
einem Freund Geerts, der diesem jedoch zunehmend misstraut. Doch als von
Innstetten nach Berlin ins Ministerium berufen wird, endet durch die nun
entstandene räumliche Distanz mit dem Umzug nach Berlin auch diese geheime
Verbindung, die Effi damit konsequent abschließt. In der Großstadt erwartet die
kleine Familie und ihr Personal ein ganz anderes, offeneres Leben, das vor
allem Effi als bereichernd empfindet, doch schließlich bahnt sich eine
Katastrophe an, als Geert auf die Briefe recht brisanten Inhalts stößt –
seltsamerweise aus der Hand der Effi so treu ergebenen Roswitha –, die Major
Crampas vor Jahren an seine Frau schrieb, als die beiden noch in einem innigen
Verhältnis zueinander standen…
Kritik:
Schon der im fast statisch abgespulten Vorspann eingeblendete
Untertitel - „Fontane Effi Briest oder Viele, die eine Ahnung haben von ihren
Möglichkeiten und ihren Bedürfnissen und trotzdem das herrschende System in
ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus
bestätigen“ – macht deutlich, dass Fassbinder sich mit seinem Film eng
an Fontanes Vorlage zu halten gedenkt, die nach wie vor zur
Standardlektüre am Gymnasium zählt. Die oft gestelzt wirkenden Dialoge und die eingeblendeten
Texttafeln mit Auszügen aus Fontanes 1896 veröffentlichten Roman
unterstreichen dies noch und machen „Fontane Effi Briest“ zu keinem
leichtgängigen Vergnügen, doch gelingt es Fassbinder, das tragische
Schicksal der jungen Effi Briest sehr einfühlsam in ausdrucksvollen
Schwarzweiß-Bildern einzufangen. Dabei beschränkt sich der Regisseur, der wie
gewohnt auch das Drehbuch verantwortet hat, nicht auf die Zeit, in der Fontane
sein Werk angesiedelt hat, das den Untergang einer noch adligen Welt im Zuge des
erstarkenden städtischen Bürgertums thematisierte, sondern widmet sich der viel
umfassenderen Frage, inwieweit sich ein Individuum selbstständig aus den
Fesseln zu befreien vermag, die ihm die Gesellschaft auferlegt.








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