Whity

Als Rainer Werner Fassbinder 1969 begann, sich vom Theater dem Film zuzuwenden, spornte ihn das neue Medium zu enormer – wenn auch drogeninduzierter – Produktivität an, die zwischen April 1969 und November 1970 zu elf Filmen und einigen Theaterproduktionen führte. Nach den ersten Produktionen in Schwarzweiß und mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten bedeutete der 1971 entstandene Film „Whity“ eine Zäsur der besonderen Art. Es war nicht nur die erste Arbeit von Kameramann Michael Ballhaus für Fassbinder, sondern es war auch der erste und einzige Film, den Fassbinder in Cinemascope drehte.

Inhalt:

Wir schreiben das Jahr 1878 irgendwo im Südwesten der USA. Dort lebt der Gutsbesitzer Ben Nicholson (Ron Randell) mit seiner intriganten zweiten Ehefrau Katherine (Katrin Schaake) und seinen beiden Söhnen, dem geistig behinderten Davie (Harry Baer) und dem homosexuellen Frank (Ulli Lommel). Zum Personal zählen der schwarze Diener Whity (Günther Kaufmann), der das Ergebnis einer Affäre zwischen dem Patriarchen und der schwarzen Köchin Marpessa (Elaine Baker) ist und von den Familienmitgliedern abwechselnd begehrt und verachtet wird. Obwohl Whity sich bereitwillig dem Spott und Missbrauch durch die Familie aussetzt, weigert er sich, ihren Bitten, den Vater zu töten, nachzukommen. Am Abend trifft er sich mit seiner Liebhaberin Hanna (Hanna Schygulla), der örtlichen Hure und Sängerin, im Saloon, die ihn überzeugen will, die schreckliche Familie zu verlassen und „nach Osten“ zu gehen. Katherine hat ein Verhältnis mit Garcia (Tomás Martín Blanco), einem Mexikaner, der sich als Arzt ausgibt und bei Ben zum Schein eine unheilbare Krankheit diagnostiziert. Ben steckt jedoch selbst hinter dieser Verschwörung. Als er Garcia das vereinbarte Geld zahlen soll, erschießt Ben ihn.
Whity wird zum Mittel der Intrigen im Hause Nicholson: Frank fordert ihn auf, seinen Vater zu töten und wagt eine sexuelle Annäherung an Whity. Katherine will Whity verführen, um ihn dazu zu verleiten, Frank – den Erben des angeblich todkranken Ben – zu ermorden. Ben verliest gegenüber seiner Familie sein Testament, um vor allem Katherine auszubooten, die noch immer glaubt, er sei todkrank, andererseits verfügt er, dass Davy und Whity nach seinem Tod Schutz und Auskommen genießen sollen…

Kritik:  

Um Fassbinders Plan, einen Western zu drehen, realisieren zu können, erklärte sich Ulli Lommel bereit, den Film zu produzieren, wobei als Grundstock für das Filmbudget die 300.000 DM dienen sollten, die als Dotierung des Bundesfilmpreises 1970 für „Katzelmacher“ an Fassbinders Team geflossen waren. Der ausführende Produzent Peter Berling schaffte es sogar, von Sergio Leone die Zusage zu erhalten, das Drehgelände in der Nähe von Almería, wo Leone seine Italowestern produzierte, kostenlos zur Verfügung gestellt zu bekommen. Doch das antiteater-Team, das durch den australischen Schauspieler Ron Randell („König der Könige“, „Der längste Tag“) ergänzt wurde, musste in der ungewohnten spanischen Umgebung feststellen, dass es überhaupt kein Team mehr gab. Die Erfahrungen, die Fassbinder während der unterfinanzierten Produktion von „Whity“ machte, thematisierte er anschließend in „Warnung vor einer heiligen Nutte“, der letzten antiteater-Produktion. Mit „Whity“ antizipierte Fassbinder die etwas offeneren Einstellungen und natürlichen Farbgebungen, wie sie Leone in seinen Italowestern verwendete, auf der anderen Seite wirken die Figuren mit ihren clownsesk weiß geschminkten Gesichtern wie Karikaturen einer dysfunktionalen Familie, die im Mittelpunkt des ungewöhnlichen Westerns steht. Da wird intrigiert, gepeitscht, geschlagen und gemordet, bis niemand mehr so richtig weiß, wem er noch vertrauen kann. Natürlich verbirgt sich hinter dieser mordlüsternen Geschichte Fassbinders Faszination für den Kampf des Einzelnen gegen eine ihm feindlich gesinnte Umwelt, das Scheitern des Individuums, frei über sein eigenes Schicksal bestimmen zu können, die zerstörerische Verbindung von Macht, Sex und Geld. „Whity“ ist ein verstörendes Drama über Perversion, Rassenhass und Dekadenz im Gewand eines klassischen Westerns.  

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