Als Autodidakt, der seine ersten Erfahrungen beim Theater
sammelte, hat Rainer Werner Fassbinder im Verlauf seiner Karriere einen
Großteil seiner realisierten Produktionen mit dem Ensemble seines antiteaters
verwirklicht, das er einst mitbegründet hatte. 1971 präsentierte er mit seinem
neunten Spielfilm „Warnung vor einer heiligen Nutte“ nicht nur die
letzte Filmarbeit mit dem antiteater, sondern gleichsam eine Reflexion der
Dreharbeiten zu seinem vorangegangenen Film „Whity“.
Inhalt:
In einer Hotellobby in Spanien vertreibt sich eine Filmcrew
die Zeit mit dem exzessiven Konsum von Cuba Libre an der Bar, hitzigen
Telefonaten an der Rezeption und erotischen Plänkeleien auf den Zimmern, denn die
Dreharbeiten zu dem neuen Film von Regisseur Jeff (Lou Castel) sind zum
Stillstand gekommen. Nicht nur der Regisseur selbst lässt auf sich warten,
sondern auch der Hauptdarsteller und vor allem der Scheck der Filmförderung,
mit dem die Gagen bezahlt werden sollen. Als Regisseur und Hauptdarsteller Eddie
Constantine (Eddie Constantine) endlich eintreffen, geht es jedoch noch
längst nicht an die Arbeit. Immer wieder überwirft sich Jeff mit seinem Herstellungsleiter
Sascha (Rainer Werner Fassbinder), der vergeblich versucht, die Wogen
zwischen den Beteiligten zu glätten. Die Langeweile und die Ungewissheit über
die Finanzierung lassen bei vielen die Nerven blank liegen. Allein der
routinierte Eddie lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und beginnt eine Affäre
mit der Schauspielerin Hanna (Hanna Schygulla), die schon viele Male mit
Jeff gearbeitet hat und an sein Verhalten gewöhnt ist. Das Filmteam rebelliert
in kleinen, spontanen, eher unorganisierten Aktionen gegen den Regisseur. In
einer Kameraeinstellung erklärt Jeff seinem Kameramann, wie er sich eine zu
drehende Szene vorstellt und was diese mit dem Filmtitel „La Patria o La Muerte“
(Vaterland oder Tod) zu tun habe im Kontext eines Films, der sich gegen die
„staatlich sanktionierte Brutalität“ wende. Hauptdarsteller Eddie weigert sich
zunächst, vor der Kamera einen Menschen zu töten. Als der Choleriker Jeff im
Suff die Produktionssekretärin Babs (Margarethe von Trotta) ohrfeigt,
wird er von ihrem Begleiter niedergeschlagen. Als das Geld dann endlich
eintrifft, sorgt Jeff jedoch mit seinen Wutausbrüchen weiterhin für ungesunde
Schwingungen in seinem Team, das an einen entscheidenden Punkt ihrer
Zusammenarbeit und ihrer Freundschaft gelangt…
Kritik:
Es ist ein offenes, bereits in einigen Publikationen
thematisiertes Geheimnis, dass die Dreharbeiten zu Fassbinders Drama „Whity“
für die ganze Filmcrew eine traumatische Erfahrung darstellten, die den
Regisseur dazu veranlasste, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, warum die
Gruppe antiteater an seine Grenzen gestoßen war, was zu den Spannungen
innerhalb der Crew geführt und welche Rolle die einzelnen Mitglieder, vor allem
Produzent, Herstellungsleiter und Regisseur dabei gespielt haben. Mit einem
emotionalen Appell versuchte Fassbinder, dass seine Mitstreiter mit ihm
gemeinsam diese Verarbeitung anzugehen. „Warnung vor einer heiligen Nutte“
nimmt deshalb so etwas wie eine Schlüsselstellung in Fassbinders Werk ein und
wird von ihm selbst als Lieblingsfilm unter seinen eigenen Arbeiten genannt.
„Bei den Dreharbeiten zu ‚Whity‘ brach dann alles
zusammen, und plötzlich wurde allen klar, dass das, was wir eigentlich machen
wollten, nie realisiert worden war. Und ‚Warnung vor einer heiligen Nutte‘ handelt
eigentlich von den Dreharbeiten zu ‚Whity‘. ‚Warnung vor einer heiligen
Nutte‘ handelt davon, aufzuwachen und einzusehen, dass man von etwas
geträumt hat, was es gar nicht gibt“, resümierte Rainer Werner Fassbinder
im Gespräch mit Christian Braad Thomsen (in: Michael Töteberg (Hrsg.): „Rainer
Werner Fassbinder. Die Anarchie der Phantasie. Gespräche und Interviews.“
Frankfurt am Main 1986, S. 42.)
Viele Einstellungen in „Warnung vor einer heiligen Nutte“
wirken wie auf einer Theaterbühne inszeniert. Michael Ballhaus schwebt mit
seiner Kamera von der Bar über die großzügige Lobby zu der kleinen Sitzgruppe,
zur Rezeption und zur Musicbox bis zu dem Sofa an der Wand und zeichnet die
verschiedenen Gesprächsthemen der bunt zusammengewürfelten Truppe auf. Hier
werden sexuelle Beziehungen angebahnt, Pläne geschmiedet, Cuba Libre getrunken,
Spitzen ausgeteilt, aber auch Schläge ausgeteilt. Zwar ist der Plot des Films kaum
erwähnenswert, dafür erweist sich Fassbinder als selbstreferentieller
Meister der Inszenierung einer dynamischen, aufbrausenden Gruppendynamik, die,
wie er selbst bekannt hat, nur in der Rolle eines Diktators in den Griff bekam.
Dabei geht der Autorenfilmer überraschend hart mit sich selbst ins Gericht,
macht aber auch deutlich, wie schwer sich manche Filmschaffende damit tun, sich
einem höheren Ziel unterzuordnen.
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