Die Sehnsucht der Veronika Voss
1979 begann Rainer Werner Fassbinder („Welt am
Draht“, „Angst essen Seele auf“) sein neben der Alfred-Döblin-Verfilmung
von „Berlin Alexanderplatz“ als mehrteiliges Fernsehdrama wohl ehrgeizigstes
Projekt und ging mit „Die Ehe der Maria Braun“, dem ersten Teil seiner
BRD-Trilogie, den Befindlichkeiten im Wirtschaftswunder-Deutschland auf den
Grund, und zwar aus der Perspektive einer Frau, die die Waffen ihres
Geschlechts bewusst einsetzt, um in einer von Männern dominierten Welt
voranzukommen. 1982 erschien mit „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ der
eigentlich zweite Teil der Trilogie, obwohl „Lola“ ein Jahr zuvor in die
Kinos gekommen war. Nach Hanna Schygulla und Barbara Sukowa ist
es nun Rosel Zech, die eine Frau verkörpern darf, die nach verblassendem
Ruhm als UFA-Star allein auf sich gestellt ist.
Inhalt:
Der ehemalige UFA-Star Veronika Voss (Rosel Zech) verfolgt
1955 im Kino unter Tränen einen ihrer letzten Erfolgsfilme und erinnert sich so
an eine Zeit, da sie mit dem Drehbuchautor Max Rehbein (Armin Mueller-Stahl),
ihrem damaligen Ehemann, glückliche Jahre verlebte, schrieb er ihr doch die
Hauptrollen auf den Leib. Auf dem Weg zur Münchner Straßenbahn wird sie im Park
vom Regen überrascht, bis der Sportreporter Robert Krohn (Hilmar Thate) auf
die Frau aufmerksam wird und sie unter seinem Schirm bis zur Haltestelle
begleitet und mit ihr in die Tram steigt.
Veronika Voss ist über die Freundlichkeit ihres Begleiters
ganz entzückt, der seinerseits von der stets attraktiven Schauspielerin, die er
aber nicht erkennt, fasziniert ist. Robert Krohn lebt zusammen mit seiner
Freundin Henriette (Cornelia Froboess) in einer Beziehung, die für beide
zu einer Gewohnheit geworden ist. In den frühesten Morgenstunden ruft Veronika
Voss ihn an und bestellt ihn zu einem Treffen ins renommierte Café
Privileg. Erneut gibt sich der Filmstar bis zur Hysterie erregt, doch Krohn
kann ihrer Anziehungskraft nicht entfliehen und beginnt mit ihr eine
verhängnisvolle Affäre – der Journalist deckt alsbald auf, dass die
Nervenärztin Dr. Marianne Katz (Annemarie Düringer), die die
Schauspielerin therapiert, ihre betuchten Klienten in die Medikamentensucht
stürzt, um sich nach und nach deren Vermögen zu erschleichen…
Kritik:
Obwohl Fassbinder, der wie schon bei „Die Ehe der
Maria Braun“ und „Lola“ das Drehbuch zusammen mit Pea Fröhlich
und Peter Märthesheimer entwickelt hat, erneut eine Frau in den
Mittelpunkt seiner Erzählung stellt, um das Scheitern der Figur an sich und der
Welt aufzuzeigen, findet er einen anderen Ton, andere Farben, andere Stimmungen
als in den beiden vorangegangenen Filmen der BRD-Trilogie. Xaver
Schwarzenberger, der schon Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“, „Lili
Marleen“ und „Lola“ fotografierte, orientiert sich mit seinen kontrastreichen
Schwarzweiß-Bildern an den US-amerikanischen Film noirs, wobei das Thema einerseits
an den letzten Lebensjahren der authentischen UFA-Schauspielerin Sybille
Schmitz angelehnt ist, vor allem aber an Billy Wilders Klassiker „Boulevard
der Dämmerung“ (1950) erinnert, in dem Gloria Swanson einen
alternden Stummfilmstar verkörperte und mithilfe des Drehbuchautors Joe Gillis
(William Holden) ihrem Comeback auf der Leinwand entgegenfieberte. Auch
Veronika Voss ist eine attraktive Dame mit glorreicher Vergangenheit, doch im
Deutschland der 1950er Jahre will man die Vergangenheit nur noch vergessen. Jeder
ist nur noch auf seinen eigenen Erfolg aus, auf wessen Kosten auch immer. Rosel
Zech („Hedda Gabler“, „Die Geschwister Oppermann“) überzeugt als wankelmütige
Diva, die ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit nicht bewusst ist, die zwischen
Euphorie und Niedergeschlagenheit pendelt und oft nur durch Tabletten ruhiggestellt
werden kann und die sich immer schwächer an den Glanz früherer Erfolge
erinnert. Auch wenn Fassbinders Film an die anderen beiden Teile seiner
Trilogie nicht heranreicht, ist die stilistisch gelungene Mischung aus
Charakterstudie, Gesellschaftsportrait und Kriminaldrama doch mehr als
sehenswert. „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ sollte Fassbinders
vorletzter Film (es folgte noch „Querelle“) sein. Er starb noch 1982 im
Alter von gerade mal 37 Jahren.
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