Ein Mann sieht rot

Anfang der 1970er Jahre hat Regisseur Michael Winner mit „Chatos Land“, „Kalter Hauch“ und „Ein Mann geht über Leichen“ gleich drei erfolgreiche Filme mit Charles Bronson abgedreht. Mit dem bis heute umstrittenen Selbstjustizthriller „Ein Mann sieht rot“ erreichte diese Zusammenarbeit ihren Höhepunkt. Heute zählt der Film, der mehrere Fortsetzungen erlebte und gerade von Eli Roth mit Bruce Willis in der Hauptrolle neu verfilmt worden ist, zu den Klassikern des Genres.
Kaum sind der erfolgreiche Architekt Paul Kersey (Charles Bronson) und seine Joanna (Hope Lange) von ihrem traumhaft schönen Hawaii-Urlaub zurückgekehrt, werden Joanna und ihre Tochter Carol Anne (Kathleen Tolan) nach dem Einkauf in einem Supermarkt zuhause von drei jungen Männern (darunter der noch unbekannte „Die Fliege“- und „Jurassic Park“-Star Jeff Goldblum) brutal überfallen. Carol Anne kann nach ihrer Vergewaltigung noch die Polizei alarmieren, muss aber traumatisiert von ihrem Mann Jack (Steven Keats) ins Sanatorium eingeliefert werden, Pauls Frau dagegen erliegt im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen.
Die Polizei macht Paul wenig Hoffnungen, die Täter zu erwischen, also stürzt er sich zur Ablenkung auf ein vielversprechendes Projekt in Tucson. Dort wird er von seinem Auftraggeber (Stuart Margolin) auf einen Schießstand eingeladen, wo der überzeugte Pazifist überraschend versiert mit verschiedenen Revolvern umgeht, worauf ihm der Mann einen Colt zum Abschied schenkt. Als Paul daheim von einem Drogenkriminellen überfallen wird, erschießt er ihn in Notwehr und gerät immer wieder in Situationen, in denen er Gebrauch von seiner Waffe machen muss. Die Polizei sucht vergeblich nach dem von der Presse gefeierten „Rächer“, denn die Verbrechensrate hat in letzter Zeit spürbar abgenommen …
Michael Winner spielt in seinem Genre-Klassiker geschickt mit den Emotionen seines Publikums. Auf die romantischen Urlaubsszenen auf Hawaii folgt nahezu unmittelbar der ungeschminkt inszenierte Überfall in Joannas Wohnung, wobei die drei jungen Männer stark überzeichnet werden, ihre Taten in ihrer rohen Brutalität aber lange nachwirken. Interessant ist Pauls Entwicklung, für die sich Winner viel Zeit nimmt. Der gebildete Paul Kersey mutiert nämlich nicht umgehend zum selbsternannten Rächer, sondern wird erst, als er selbst Opfer eines Überfalls wird, zum Killer aus Notwehr. Ebenso wie das halbstarke Verbrecher-Trio zu Beginn wirkt auch Pauls ständige Konfrontation mit weiteren Drogenkriminellen und Räubern stark überzogen, demonstriert aber, dass Paul nach und nach seine Skrupel beim Einsatz seiner Waffe ablegt und schließlich bewusst Situationen heraufbeschwört, in denen er gewaltbereite Kriminelle aus dem Weg räumen kann und so die Stadt nicht nur selbst vom Abschaum befreit, sondern auch Mitbürger zur couragierten Selbstverteidigung animiert.
Als die Polizei schließlich den Rächer identifiziert, weiß sie nicht so recht, wie sie mit dem zum Helden avancierten Mann umgehen soll. Gerade in einer Zeit, in der der Umgang mit Schusswaffen in den USA so heftig wie nie zuvor diskutiert wird, bietet „Ein Mann sieht rot“ weiteren Diskussionsstoff. Der Film macht allerdings nicht den Fehler, Paul Kerseys Verhalten zu heroisieren, sondern charakterisiert die Figur durchaus ambivalent als gebrochene Figur, die ihren eigenen Weg aus der Gewaltspirale sucht. Davon abgesehen überzeugt der Film durch seine stimmige Fotografie, Bronsons charismatische Darstellung und den hervorragenden Score von Herbie Hancock
"Ein Mann sieht rot" in der IMDb

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