Shutter Island

Von Scorseses Frühwerk „Hexenkessel“ (1973) bis zum seinem Mafia-Epos „Casino“ (1995) war Robert De Niro der alles überragende Hauptdarsteller in den meisten Scorsese-Filmen und trug dabei Meisterwerke wie „Taxi Driver“, „Wie ein wilder Stier“ und „The King of Comedy“ quasi allein auf seinen Schultern. Seit „Gangs of New York“ (2002) hat Leonardo DiCaprio diese Rolle übernommen, brillierte anschließend in „Aviator“ und „Departed: Unter Feinden“, um 2010 in der Verfilmung von Dennis Lehanes Bestseller „Shutter Island“ in die Rolle eines US-Marshals zu schlüpfen, der nicht nur einen Job zu erledigen hat, sondern auch den Tod seiner Frau und seine Erlebnisse als Soldat bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau zu verarbeiten hat. 

Inhalt: 

Mit seinem neuen Partner Chuck Aule (Mark Ruffalo) fährt US-Marshal Teddy Daniels (Leonardo DiCaprio) im Jahr 1954 nach Shutter Island, auf eine abgelegene Insel vor der US-Ostküste, die eine Anstalt für geistesgestörte Gewaltverbrecher beherbergt, aus der vergangene Nacht die Patientin Rachel Solando (Emily Mortimer) spurlos verschwunden ist. Sowohl der ärztliche Leiter Dr. Cawley (Ben Kingsley) als auch sein deutscher Kollege Dr. Naehring (Max von Sydow) hüllen sich ebenso in Schweigen wie die Mitarbeiter, die für die Betreuung und Bewachung der Patienten verantwortlich gewesen sind. Auch Solandos zuständiger Psychiater Dr. Sheehan steht für Auskünfte nicht zur Verfügung, da er kurzfristig seinen lange überfälligen Urlaub angetreten hat. Daniels und Aule sind bei so wenig Entgegenkommen fast schon gewillt, die Insel am folgenden Tag zu verlassen, doch ein heftiger Sturm macht diesen Plan zunichte. So machen sich die beiden US-Marshals bei Sturm und Regen selbst auf die Suche nach der verschwundenen Patientin, die - da sind sich die Cops sicher – gewiss nicht ohne Hilfe des Anstaltspersonals entkommen konnte. Daniels verfolgt aber auch ein sehr persönliches Motiv: Er vermutet, dass mit Laeddis (Elias Koteas) jener Feuerteufel in der Anstalt verwahrt wird, der für den Tod seiner Frau Dolores (Michelle Williams) verantwortlich ist, denn einer mysteriösen Botschaft von Solando zufolge soll die Anstalt 67 statt der offiziellen 66 Patienten beherbergt haben … 

Kritik: 

Zur Einstimmung auf die Dreharbeiten präsentiert Scorsese seinen Hauptdarstellern gewöhnlich ein Potpourri aus verschiedenen Filmen. Bei „Shutter Island“ waren dies u.a. die Film-noir-Klassiker „Laura“ von Otto Preminger und Jacques Tourneurs „Goldenes Gift“, außerdem Alfred Hitchcocks „Vertigo“ und die Horror-B-Movies „Katzenmenschen“ und „Die Todesinsel“
Allein diese Auswahl verweist schon auf einen Kontext, bei dem psychische Deformationen und eine schaurige Atmosphäre Hand in Hand gehen. Dafür sorgt schon die sorgfältig ausgesuchte und gestaltete Kulisse der Anstalt auf der sturmumtosten Insel, die labyrinthartigen Gänge in den Gebäuden und Kellern sowie die ständig präsente Vermutung, dass hier etwas in großem Stil vertuscht werden soll. Daniels erkennt in Dr. Naehring nicht nur einen deutschen Kriegsverbrecher, sondern vermutet, dass auf Shutter Island geheime Experimente an Patienten ausgeführt werden. Immer wieder wird er von Alpträumen heimgesucht, die ihn zum einen mit seinem Einsatz als Soldat bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau konfrontieren, wo er sich selbst eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht hat, zum anderen mit dem Tod seiner geliebten Frau, die ihm im Traum stets rät, sofort die Insel zu verlassen. 
Unterstützt durch die grandiose Kameraarbeit des Oscar-prämierten Robert Richardson („Aviator“, „Kill Bill“) erzeugt Scorsese eine klaustrophobische Atmosphäre, in der der manisch aufspielende Leonardo DiCaprio mit den Dämonen seiner Vergangenheit und am Ende mit einer erschütternden Wahrheit konfrontiert wird. Bis dahin erlebt der Zuschauer eine wilde Odyssee durch die finsteren Gänge der verschiedenen Anstaltstrakte bis hin zum geheimnisvollen Leuchtturm, aber auch viele, den Erzählfluss durchaus unterbrechende Rückblenden und Träume, die Daniels‘ Kriegserlebnisse und Erinnerungen an seine Frau thematisieren. 
„Shutter Island“ zählt damit zu den definitiv gruseligsten, wenn auch nicht besten Werken des Ausnahmeregisseurs. Der bis in die kleinsten Nebenrollen grandios besetzte und spielende Cast, Richardsons gewohnt famose Kameraarbeit, Thelma Schoonmakers ebenfalls erstklassiger Schnitt und der bedrohliche Soundtrack mit Stücken von Ligeti, Ingram Marshall, Penderecki, John Cage, John Adams, Max Richter und Gustav Mahler machen „Shutter Island“ zu einem ebenso verstörenden wie packenden Psycho-Grusel-Thriller mit einem furiosen Finale.  

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