Elle

Zwar wird der niederländische Filmemacher Paul Verhoeven vor allem im Science-Fiction-Genre mit Filmen wie „RoboCop“ (1987), „Total Recall“ (1990), „Starship Troopers“ (1997) und „Hollow Man“ (2000) in Verbindung gebracht, aber natürlich auch mit dem provokativen Erotik-Thriller „Basic Instinct“ (1992). Nachdem es viele Jahre ruhig um ihn gewesen ist, legt Verhoeven mit „Elle“, der Verfilmung von Philippe Djians Roman „Oh …“, nun einen weiteren diskussionswürdigen Thriller vor, der dem klassischen Rape-&-Revenge-Thema eine ungewöhnliche Perspektive verleiht.
Auch wenn sie aus dem Verlagswesen stammt, hat Michèle (Isabelle Huppert) als Geschäftsführerin einer großen Videospielfirma die überwiegend aus jungen Männern bestehende Crew aus Programmierern fest im Griff. Ebenso rigoros geht Michèle in ihrem Privatleben vor. Ihren Mann, den abgehalfterten Romanautor Richard (Charles Berling) hat sie rausgeschmissen, nachdem er sie geschlagen hatte, über erwachsenen, aber naiven Sohn Vincent (Jonas Bloquet) muss sie immer noch ein wachsames Auge haben, nachdem er seine Freundin geschwängert hat und nun von Mama eine Wohnung finanziert haben möchte.
Äußerst pragmatisch ist sie auch in sexueller Hinsicht. Mit Robert (Christian Berkel), dem Mann ihrer Geschäftspartnerin und Freundin Anna (Anne Consigny), unterhält sie seit Monaten eine unverbindliche Affäre. Selbst als Michèle eines Tages aber in ihrem eigenen Haus von einem ganz in schwarz maskierten Mann überfallen und brutal vergewaltigt wird, scheint sie das kaum aus der Ruhe zu bringen. Daran, den Vorfall der Polizei zu melden, denkt sie überhaupt nicht. Schließlich hat sie denkwürdig schlechte Erfahrung mit ihr gemacht, als sie im Alter von zehn Jahren miterleben musste, wie ihr Vater als Massenmörder in der Nachbarschaft tätig gewesen ist. Doch Michèles Vergewaltiger lässt keine Ruhe, schickt ihr anzügliche SMS und im Netzwerk ihrer Firma sogar eine modifizierte Sequenz aus dem aktuell entwickelten Spiel mit ihrem Konterfei auf dem Gesicht des von einem Monster vergewaltigten Opfers.
Michèle setzt nun alles daran, die Identität ihres Peinigers zu lüften …
Verhoeven verzichtet in „Elle“ auf eine ruhige Einführung seiner Protagonistin und konfrontiert den Zuschauer gleich mit der Vergewaltigungsszene und dem überraschend gelassenen Umgang des Opfers mit dem Vorfall, so dass durchaus der Eindruck entstehen kann, es handelte sich vielleicht um eine außergewöhnlich inszeniertes sexuelle Begegnung.
Erst später, in einer umfassenderen Erinnerung an diesen Vorfall, wird der Charakter dieser Szene eindeutig als gewaltsamer Überfall definiert. Diese Unsicherheit, die sich auch mal in verstörendes Unbehagen wandelt, setzt sich auch im weiteren Verlauf des Films fort. Michèle wird als taffe, bis zur Grausamkeit resolute Frau portraitiert, die ihre von Schönheitsoperation verunstaltete Mutter wegen ihres jungen Liebhabers ebenso aufzieht, wie sie ihren Liebhaber öffentlich lächerlich macht und ihrem verliebten Sohn klarzumachen versucht, dass seine Freundin definitiv nicht die Richtige für ihn sei.
Als Zuschauer kann man durchaus einen frauenfeindlichen Eindruck des Films gewinnen, weil das Trauma einer Vergewaltigung runtergespielt wird, so pragmatisch Michèle mit dem Vorfall umgeht. Auf der anderen Seite portraitiert Verhoeven die Figur aber als so starke Frau, dass selbst eine so entwürdigende Brutalität sie nicht aus der Fassung bringt. Stattdessen führt sie ihr Leben ohne Angst und sehr selbstbestimmt weiter – mit durchaus gefahrvollem Potenzial.
Isabelle Huppert („Liebe“, „Die Klavierspielerin“) verkörpert die Hauptfigur so brillant intensiv, dass dem Zuschauer überhaupt keine Zweifel an ihrer charakterlichen Ausprägung und ihrem gesellschaftlichen Umgang kommen. Das macht Michèle und ihr Handeln allerdings unberechenbar und den Film zu einem ebensolchen Vergnügen, weil er sich jenseits vertrauter Verhaltensmuster und Erzähltraditionen bewegt.
"Elle" in der IMDb

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