Barry Lyndon

Nachdem sich Stanley Kubrick mit „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (1964), „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968) und „Uhrwerk Orange“ (1971) eher in Science-Fiction-Gefilden bewegt hatte, seinen Traum von einem Film über Napoleon Bonaparte aber nicht verwirklichen konnte, nahm er sich William Makepeace Thackerays zweiten, 1844 veröffentlichten Roman „Die Memoiren des Barry Lyndon“ an und schuf mit „Barry Lyndon“ 1975 einen perfekt ausgestatteten Kostümfilm, der bis heute zu den weniger bekannten und eher unterschätzten Werken des Meisterregisseurs zählt. 

Inhalt: 

Nachdem der Ire Redmond Barry (Ryan O’Neal) im späten 18. Jahrhundert seinen Vater bei einem Duell verloren hat, verliebt sich der gut aussehende, aber mittellose junge Mann in seine Cousine Nora Brady (Gay Hamilton), die sich allerdings von ihm abwendet, sobald der weitaus besser gestellte Captain John Quin (Leonard Rossiter) in ihr Leben tritt, von dem sich ihre Familie eine beträchtliche jährliche Mitgift erhofft. Während die Briten damit beschäftigt sind, genügend Soldaten zu rekrutieren, um gegen die befürchtete Invasion durch die Franzosen bestehen zu können, wird Quin dermaßen von Noras Familie umschmeichelt, dass Barry die Fassung verliert, seinem Rivalen ein Glas Wein ins Gesicht schüttet und ihn schließlich zum Duell herausfordert, bei dem er Quin zwar töten kann, er aber nach Dublin geschickt wird, um einer möglichen Strafe durch die Engländer zu entgehen. 
Da Barry unterwegs aber von zwei Wegelagerern die 20 Guineas und das Pferd abgenommen werden, sieht er sich gezwungen, sich der englischen Armee anzuschließen, wo er von seinem Onkel Captain Grogan (Godfrey Quigley) erfährt, das bei dem Duell mit Quin seine Pistole mit harmloser Munition gefüllt gewesen sei, Quin also noch lebe und so die Ehe mit Nora eingehen konnte. Barry erlebt den Siebenjährigen Krieg, bei dem England mit den Preußen gegen Frankreich und Russland kämpft, desertiert bei erstbester Gelegenheit, macht sich unter falschem Namen auf den Weg nach Holland, unterhält eine kurze Affäre mit einer jungen Deutschen (Diana Körner), deren Mann ebenfalls im Krieg kämpft, und stößt schließlich auf den preußischen Offizier Potzdorf (Hardy Krüger), den Neffen des preußischen Polizeiministers. 
Nachdem Potzdorf Barrys Hochstapelei enttarnt hat, zwingt er ihn, in die preußische Armee einzutreten, wo er sich vor allem dadurch verdient macht, dass er Potzdorf im Gefecht das Leben rettet. Der Preuße zeigt seine Dankbarkeit dadurch, dass er Barry mit seinem Onkel bekannt macht, der ihn als Spion einsetzt, um den irischen Adligen Chevalier de Balibari (Patrick Magee) als Spion zu enttarnen. Doch Barry ist so gerührt, nach den vielen Jahren im Krieg wieder einen Landsmann zu treffen, dass er mit dem Berufsspieler gemeinsame Sache macht, was die beiden an die Höfe Europas führt. Barry heiratet schließlich die Countess of Lyndon, Viscountess of Bullingdon (Marisa Berenson), nachdem deren todkranker Mann verstorben ist, als er von der Affäre seiner Frau erfahren hat. Doch nachdem Barry 1773 die Countess geehelicht und sein Ziel erreicht hat, lässt er seine Frau und ihren zehnjährigen Sohn links liegen, frönt der Hurerei und Spielerei, liebt seinen eigenen Sohn Brian aber über alles. Doch auch dieses Glück währt nicht lange … 

Kritik: 

Kubrick ließ sich wenig darüber aus, was ihn an Thackerays Roman besonders interessiert hat, sondern erklärte nur, dass sich der Wert einer künstlerischen Arbeit vor allem daran messen solle, ob es etwas Relevantes über das menschliche Leben beisteuern und einen Moment der Wahrheit einfangen könne. Bei Thackeray (1811-1863) dürfte Kubrick vor allem die Art und Weise gefesselt haben, wie der in Kalkutta geborene, in England ausgebildete und dann Europa bereisende Romancier die Torheit und Bosheit der Menschen und die Launenhaftigkeit des Schicksals in seinen Werken thematisierte, ohne den moralisierenden Zeigefinger zu erheben. Im Gegensatz zur Romanvorlage, die Barry als Ich-Erzähler einsetzt, entschied sich Kubrick in seiner Drehbuchfassung für einen allwissenden Erzähler, der das Geschehen mit oft ironischen Untertönen schildert und vor allem auf die schicksalshaften Entscheidungen des Protagonisten verweist. 
Hier ist vor allem die unerwiderte romantische Liebe zu seiner Cousine und das folgenschwere Duell mit seinem Stiefsohn Lord Bullingdon zu erwähnen, die den beschriebenen Aufstieg und Fall der Titelfigur maßgeblich beeinflussen. Kubrick erweist sich vor allem in der Ausstattung als Perfektionist. Für sein dreistündiges Epos hat er möglichst viele originale Uniformen und Kostüme zusammentragen lassen und an vielen historischen Schauplätzen wie Schlössern und Burgen bei oft natürlicher Beleuchtung gedreht, wozu Kubrick ein besonders lichtstarkes Objektiv einsetzte, das ursprünglich von Carl Zeiss für die NASA hergestellt worden war. So war es ihm möglich, eine Szenerie von gemäldeartigen Bildern zu kreieren, in der der Mensch nicht nur in der Natur verschwindend klein wirkt, sondern auch seinem Schicksal machtlos gegenübersteht. 
Mit Ryan O’Neal („Is was, Doc?“, „Love Story“, „Paper Moon“) hat Kubrick den perfekten Darsteller gefunden, um die verschiedenen Rollen als romantischer Verliebter, notorischer Lügner, Falschspieler, Hochstapler, Soldat, Faustkämpfer, Mitgiftjäger, Emporkömmling und Ehebrecher glaubwürdig auszufüllen. Doch das Hauptaugenmerk des Films liegt eher in den imposanten Landschaftsbildern, die der mit einem Oscar ausgezeichnete Kameramann John Alcott („Shining“, „Unter Feuer“) wie barocke Gemälde erschaffen hat, wobei er vor allem Gebrauch von Zooms macht, die aus einer Detailaufnahme auf das Gesamtbild herauszoomen. 
Ähnlich wie in „2001: Odyssee im Weltraum“ und „Uhrwerk Orange“ ist auch bei „Barry Lyndon“ die Musik von prägender Bedeutung. Zeitgenössische Werke von Bach und Mozart gehen einher mit Händels „Sarabande“, die in verschiedenen Variationen die Handlung vorantreibt, die Charaktere definiert und vor allem das Publikum mit einbezieht, das sonst wenig Anhaltspunkte findet, sich mit den Figuren zu identifizieren. 
So ist Kubrick mit dem 11 Millionen Dollar teuren Kostümepos und Sittenportrait ein prachtvoller Film gelungen, der einmal mehr Zeugnis dem Perfektionismus des Filmemachers ablegt.  

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