Lolita (1962)

Nach den beiden mit Kirk Douglas und dessen Produktionsfirma realisierten Filmen „Wege zum Ruhm“ (1957) und „Spartacus“ (1960) hatte Regisseur Stanley Kubrick Anfang der 1960er Jahre das Renommée, auch schwierigere Stoffe verfilmen zu können, was auf Vladimir Nabokovs 1955 veröffentlichten Roman „Lolita“ mit Sicherheit zutrifft. Die Geschichte eines 39-jährigen Literaturprofessors, der sich in ein zwölfjähriges Mädchen verliebt, hatte in den USA und England sogar Probleme, einen Verlag zu finden, so dass die Erstveröffentlichung durch Olympia Press in Paris erfolgte, ehe das Buch 1958 auch in den Staaten einen Verleger fand. Verfilmen ließ sich das skandalträchtige Liebesdrama nur unter der Voraussetzung, dass Kubrick jede Andeutung von Sex vermied. So gelang ihm ein Drama, das eher auf die psychischen Abhängigkeiten zwischen den Figuren abzielt als auf die erotische Komponente. 

Inhalt: 

Auf der Suche nach dem Lebemann Clare Quilty (Peter Sellers) betritt der Literaturprofessor Humbert Humberts (James Mason) eine luxuriöse, aber wie nach einer ausschweifenden Party völlig verwüstete Villa, findet den stark angetrunkenen Quilty und streckt ihn nach einer kurzen Unterredung mit seiner Pistole nieder. Vier Jahre zuvor: Humberts ist gerade aus Europa nach Amerika gekommen, um am Beardsley College in Ohio eine Professur für Literatur anzutreten. Zuvor will er den Sommer an einem ruhigen Flecken verbringen, wo er Zeit für sein neues Buch haben würde, und landet schließlich in der Kleinstadt Ramsdale, New Hampshire, wo er ein Zimmer in dem Haus der Witwe Charlotte Haze (Shelley Winters) bezieht. Die redselige Frau lässt keinen Zweifel daran, dass sie einen Ersatz für ihren vor sieben Jahren verstorbenen, in einer Urne ihres Schlafzimmer aufgebahrten Mann sucht. Wegen ihrer aufdringlichen Geschwätzigkeit ist Humberts schon geneigt, sich eine andere Unterkunft zu suchen, doch dann entdeckt er im Garten Charlottes Tochter Dolores (Sue Lyon), genannt Lolita, im Bikini auf einer Decke liegend und ist sofort hin und weg. 
Während Charlotte sich vergebens bemüht, die Aufmerksamkeit des zurückhaltend lebenden Professors auf sich zu ziehen, hat er nur noch Augen für Lolita, sucht ihre Nähe, genießt ihre Berührungen. Als Charlotte merkt, dass Lolita ihrem Plan im Wege steht, schickt sie sie über den Sommer in ein Ferienlager und stellt Humberts ein Ultimatum: Entweder zieht er sofort aus oder willigt in eine Heirat mit ihr ein. Humberts muss zwar bei der absurden Vorstellung lachen, lässt sich aber auf die Heirat ein, um Lolita weiterhin sehen zu können. Als Charlotte eines Tages das Tagebuch ihres Mannes entdeckt, ist sie entsetzt und lässt sich kaum beruhigen. Sie stürzt aus dem Haus und wird von einem Auto zu Tode gefahren. Nun scheint der Weg frei zu sein für Humberts und Lolita. 
Um dem Gerede in der Stadt zu entgehen, holt er Lolita selbst aus dem Feriencamp ab, verschweigt ihr den Tod ihrer Mutter und will mit ihr durch das Land reisen. Doch so unbeschwert, wie sich Humberts das Zusammensein mit dem Mädchen vorstellt, verläuft die Reise nicht, denn tagelang wird er von einem anderen Auto verfolgt … 

Kritik: 

Als Kubrick Nabokovs Roman verfilmen wollte, bat er den Autor, auch das Drehbuch zu schreiben, was Nabokov nach seiner ersten Weigerung auch tat, doch war das 400 Seiten starke Skript viel zu umfassend, so dass sich Kubrick und sein Produzenten-Freund James B. Harris schließlich selbst an das Werk machten. Mit dem Prolog, der im Roman erst am Ende erscheint, schafft Kubrick sofort eine unheilvolle Verbindung zwischen dem Ich-Erzähler Humberts, dem ominösen Quilty und der nicht anwesenden Lolita, so dass die nachfolgend im Rückblick erzählte Geschichte die Auflösung der Dreiecksbeziehung bringen muss. 
Kubrick nimmt sich viel Zeit, zunächst die schwierige Beziehung zwischen Humberts, der Witwe Charlotte und ihrer Tochter Lolita zu beschreiben. Aufschlussreich ist die Szene, in denen Humberts im Kino zwischen den beiden Frauen im Kino sitzt und beide Frauen bei dem Horrorfilm mit Christopher Lee und Peter Cushing die körperliche Nähe zu Humberts suchen, dieser aber nur die Hand von Lolita berührt, während er sich Charlottes Annäherungsversuche entzieht. Da Kubrick die erotische Beziehung zwischen Humberts und der im Roman erst 12-jährigen, im Film weitaus reiferen Teenagerin Lolita nicht thematisieren konnte, belässt er es bei doppeldeutigen Aussagen, sorgt mit schwarzem Humor immer wieder für Auflockerung in dem sinnlich aufgeladenen Drama, in dem Lolita immer mehr die Parameter der Beziehung zu ihrem Stiefvater bestimmt. 
Letztlich handelt „Lolita“ von vier sehr labilen Persönlichkeiten, die sich in ihrer verschiedenartigen Abhängigkeit voneinander selbst zerstören. Humberts scheint vor allem von der unschuldigen, reinen Jugend des Mädchens gefesselt zu sein, gerät völlig in Lolitas Abhängigkeit, sperrt sie letztlich ein, damit sie keine Verabredungen mit gleichaltrigen Jungs trifft, während Lolita diese Konstellation geschickt für sich nutzt, ohne aber selbst glücklich zu werden, da sie nie gelernt hat zu lieben. Charlotte ist dagegen eine einsame Frau in den besten Jahren, die Humberts ebenso in Fesseln zu legen versucht wie Humberts seine geliebte Lolita. Zu dieser unheilvollen Dreier-Konstellation gesellt sich mit Quilty mehr als nur ein Beobachter. 
Peter Sellers, der hier wie später in „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ gleich mehrere Rollen übernimmt und mit seinem spontanen Witz für einige unterhaltsame Höhepunkte in dem Film sorgt, versucht mit seinen Figuren, Humberts dazu zu bewegen, seine anrüchige Beziehung zu Lolita zu beenden, doch scheitert er mit seinem Ansinnen ebenso wie Humberts selbst in seinem Verlangen, Lolita an sich zu binden. Kubrick hat den Film nicht nur wunderbar von Oswald Morris („Anatevka“, „Mord mit kleinen Fehlern“) fotografieren und von Nelson Riddle ansprechend musikalisch vertonen lassen, sondern vereint auch ein stark aufspielendes Ensemble, das die tragischen Dimensionen jeder einzelnen Figur wunderbar zur Geltung kommen lässt. 1997 verfilmte auch Adrian Lyne den Nabokov-Roman mit Melanie Griffith, Jeremy Irons und Dominique Swain in den Hauptrollen.  

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