Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben
Nachdem Stanley Kubrick bereits mit „Wege zum Ruhm“ (1957) einen beeindruckenden Antikriegsfilm inszeniert hatte und bevor er mit „Full Metal Jacket“ (1987) ein weiteres Mal gegen den männlichen Allmachtswahn Stellung bezog, präsentierte er 1964 mit „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ eine herrlich absurde Kriegsfilm-Satire, die die weltweite Paranoia nach den Atombombenabwürfen der Amerikaner auf Hiroshima und Nagasaki zum Ende des Zweiten Weltkriegs aufgriff und die Absurdität des Umgangs mit Atombomben auf die Spitze trieb.
Da US-Air-Force-General Jack D. Ripper (Sterling Hayden) davon überzeugt ist, dass die Russen einen Geheimplan verfolgen, bei dem u.a. die wertvollen Körpersäfte der US-Amerikaner durch Vergiftung des Trinkwassers zersetzt werden sollen, nimmt er selbst nur noch destilliertes Wasser zu sich und ordnet eines Tages den „Code Red“ an, was eigentlich nur dem Präsidenten gestattet ist. So schickt er die ihm unterstellten und mit atomaren Sprengkörpern bestückten B-52-Bomber auf strategische Ziele in der Sowjetunion. Den ihm unterstellten britischen Captain Mandrake (Peter Sellers) weist er an, alle Rundfunkempfänger auf dem Stützpunkt Burpelson einzusammeln, damit der Gegner keine Möglichkeit zu seinen ausgeklügelten Täuschungsmanövern bekommt.
Als Präsident Muffley (wiederum Peter Sellers) von dem Manöver erfährt, beruft er eine Krisensitzung im Pentagon ein.
General Turgidson (George C. Scott) lässt dafür ungern sein Schäferstündchen mit seiner Sekretärin (Tracy Reed) sausen, unterrichtet im War Room die Anwesenden aber nüchtern darüber, dass die durch den „Code Red“ auf ihre vernichtende Mission geschickten Bomber nicht mehr zurückgerufen werden könnten, dass der totalen Vernichtung der Sowjetunion bei einem Gegenschlag höchstens 25 Millionen Tote in den USA gegenüberstünden.
Doch Muffley will nicht „als größter Massenmörder seit Adolf Hitler“ in die Geschichtsbücher eingehen und beruft den sowjetischen Botschafter de Sadesky (Peter Bull) in die Kommandozentrale und informiert den Kreml über die bedauerlichen Gegebenheiten. Der sowjetische Botschafter teilt den Anwesenden im Pentagon mit, dass bei einem atomaren Angriff die Weltvernichtungsmaschine der Sowjetunion in Gang gesetzt werden würde. Muffley lässt den von Ripper abgeriegelten Stützpunkt von seinen eigenen Truppen erobern, doch da sich der verantwortliche General das Leben nimmt, kommt nun niemand mehr an den Rückzugs-Code für die Bomber. Zum Glück gelingt es Mandrake, diesen Code zu entschlüsseln, so dass die Sowjets fast alle US-Bomber rechtzeitig außer Gefecht setzen können. Allein die angeschossene, aber noch flugfähige B-52 von Major „King“ Kong (Slim Pickens) steuert unter dem Radar ihrem vorgegebenen Ziel entgegen. Doch auch wenn alles auf die große Katastrophe zusteuert, hat der zuvor unter Hitler dienende Wissenschaftler Dr. Strangelove (nochmals Peter Sellers) einen Plan B parat: Die atomar sicheren Bergwerke würden Platz genug für die Elite der Vereinigten Staaten bieten. Indem zehnmal so viele – natürlich für die Fortpflanzung geeignete – Frauen wie Männer den Ablauf der atomaren Halbwertszeit von gut hundert Jahren versüßen, wäre die Zukunft einer neuen Herrenrasse gesichert …
Kritik:
Kubrick war während des Kalten Krieges sehr an den Strategien der gegenseitigen atomaren Abschreckung interessiert und erwarb 1962 die Filmrechte des vier Jahre zuvor veröffentlichten Romans „Red Alert“ von Peter George, den Kubrick auch mit einem Drehbuchentwurf beauftragte. Doch je mehr das Projekt voranschritt, sah der Regisseur in der Geschichte mehr als das bloße Melodram des Romans und arbeitete zusammen mit Terry Southern und dessen düsteren Humor das Drehbuch aus.
Um diesen schwarzen Humor auch im Film adäquat rüberzubringen, wurde Star-Komiker Peter Sellers („Der rosarote Panther“) mit gleich drei ganz unterschiedlichen Rollen (eigentlich sollte er sogar die Rolle des B-52-Piloten Major Kong übernehmen, war aber durch eine vermeintliche Fußverletzung verhindert) zum Dreh- und Angelpunkt des Films. Vor allem die Rolle des körperlich gehandicapten, an den Rollstuhl gefesselten Nazi-Wissenschaftlers Dr. Seltsam, aber auch der psychotische General Ripper bringen den Wahnsinn des atomaren Wettrüstens ebenso auf den Punkt wie die nüchterne Darstellung von General Turgidson, der von George C. Scott mit einer wunderbar vielschichtigen Mimik dargestellt wird.
Natürlich ist der Wahnsinn um das atomare Wettrüsten ein reines Männerding. Kubrick und Southern lassen es an deutlichen sexuellen Anspielungen nicht mangeln. Von General Jack D. Rippers Namen, der auf den berühmten britischen Sexualmörder Jack the Ripper zurückgeht, über den Namen des amerikanischen Präsidenten, der sich auf die weiblichen Genitalien bezieht, bis zu Major Kongs Ritt auf der abgeworfenen Bombe lässt „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ keinen Zweifel daran, dass die Männer wegen ihres irregeleiteten Sexualtriebs die Kontrolle über die Welt verloren haben.
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