Sieben
David Fincher hat sich in den 1980er Jahren mit unzähligen Musikvideos für Künstler wie Rick Springfield, Sting, Hooters, Christopher Cross, Foreigner, Madonna und Aerosmith auch für Hollywood interessant gemacht und mit „Alien 3“ 1995 gleich eine beeindruckende Visitenkarte hinterlassen, auch wenn der Film nicht an den Erfolg der ersten beiden „Alien“-Filme von Ridley Scott und James Cameron anknüpfen konnte. Doch schon mit seinem nächsten Film bewies Fincher, dass er zu den ganz großen Filmemachern seiner Generation zählt: „Sieben“ ist bis heute der Maßstab für einen fesselnden Thriller, selten ist die Jagd nach einem Serienmörder so düster inszeniert worden.
Eine Woche vor seinem Abschied vom Polizeidienst bekommt Detective Somerset (Morgan Freeman) einen besonders skurrilen Mordfall auf den Tisch. Am Tatort stößt er mit seinem noch jungen Nachfolger Detective Mills (Brad Pitt) auf einen 200 Kilo schweren Mann, der – an Fuß- und Handgelenken gefesselt – offenbar gezwungen wurde, so lange zu essen, bis er buchstäblich geplatzt ist und an inneren Blutungen verstarb. Die Ermittler finden den Toten mit dem Gesicht in einem Teller Spaghetti vergraben. Doch das ist erst der Auftakt einer ganzen Reihe von Morden, die die sieben in der Bibel benannten Todsünden thematisieren: Habsucht, Hochmut, Neid, Zorn, Wollust, Trägheit und Maßlosigkeit. Wegen der Spannungen zwischen Somerset und Mills, der gerade erst mit seiner Frau Tracy (Gwyneth Paltrow) in die Stadt gezogen ist, setzt der Captain (R. Lee Ermey) Mills auf den Mord an einen prominenten Strafverteidiger an, der in seinem Büro über das Wochenende gefoltert und gezwungen worden ist, Teile seines Körpers abzuschneiden, um dann an den Folgen der Selbstverstümmelung zu verbluten. Auf dem Teppich wurde mit Blut deutlich sichtbar das Wort „Habsucht“ geschrieben. Als Somerset daraufhin noch einmal den Tatort des ersten Mordes untersucht, entdeckt er hinter dem Kühlschrank das Wort „Maßlosigkeit“ sowie einige Zeilen aus John Miltons „Das verlorene Paradies“. Nach einem Abendessen, zu dem Tracy Somerset einlädt, bittet Tracy den älteren Detective um ein vertrauliches Gespräch, in dem sie Somerset von ihrer bevorstehenden Schwangerschaft und ihrer Angst erzählt, in dieser grausamen Welt ein Kind zu gebären.
Zwar kommen Somerset und Mills einem Mann namens John Doe (Kevin Spacey) auf die Spur, der sich in öffentlichen Büchereien Werke über die sieben Todsünden ausgeliehen hat, doch scheint er ihnen der offensichtlich hochintelligente Mann immer einen Schritt voraus zu sein…
Kritik:
David Finchers „Sieben“ ist weit mehr als ein konventioneller Cop-Thriller. Das Drehbuch von Andrew Kevin Walker („Sleepy Hollow“, „Windfall“) und die Inszenierung von Fincher knüpft von der Stimmung, Stilistik und Thematik an Jonathan Demmes Meisterwerk „Das Schweigen der Lämmer“ an, wobei sich bei „Sieben“ der hochgebildete Serienmörder bei seinen Taten auf religiöse Symbolik und die literarischen Werke von Shakespeare („Der Kaufmann von Venedig“), Dante Alighieri („Die göttliche Komödie“) und Milton bezieht.
Wie die bizarren Morde in „Das Schweigen der Lämmer“ warten auch die Mordszenerien in „SE7EN“, so die stilisierte Schreibweise des Thrillers, mit eindringlichen Horrorelementen auf, wobei es Fincher dem Zuschauer überlässt, sich die Todesqualen der Opfer während der grausamen Folterungen vorzustellen.
Ebenso wie die Detectives bekommt auch das Publikum nur das Resultat von John Does perfiden Tötungen per Selbstbestrafung zu sehen, doch diese Szenen bekommt man so schnell nicht wieder aus dem Kopf. Fincher entwickelt zusammen mit seinem begnadeten Kameramann Darius Khondji („Die neun Pforten“, „My Blueberry Nights“) und „Das Schweigen der Lämmer“-Komponist Howard Shore einen unheilvollen Sog, der vor allem durch die Tatorte, den immerwährenden Regen in der namenlosen Stadt und die geschickt inszenierten Kontraste entsteht.
So könnten der vor dem Ruhestand stehende Somerset mit seinem gepflegten Äußeren, hellen Trenchcoat, besonnenen Wesen und der schwarzen Hautfarbe auf der einen und der hellhäutige, junge, mit schwarzer Lederjacke bekleidete und stellenweise arrogant auftretende Mills auf der anderen Seite unterschiedlicher nicht sein. Die sorgsam inszenierten Hell-Dunkel-Kontraste setzen sich an den Tatorten fort, Mills‘ Wohnung und dem Polizeipräsidium fort, dazu dominieren interessante Rot-Grün-Farbgebungen.
Was „Sieben“ aber letztlich sein Bedrohungspotenzial verleiht, ist die auf religiösem Fanatismus beruhende Motivation des an sich unscheinbaren John Doe, der von Kevin Spacey mit pointierter Mimik verkörpert wird. In ihrer Unterschiedlichkeit stellen auch die von Brad Pitt und Morgan Freeman dargestellten Detectives ideale Identifikationsfiguren für den Zuschauer dar. Gwyneth Paltrow hat leider nicht so viel Leinwandpräsenz, macht aber das Beste aus ihrer Rolle und empfahl sich so für spätere Hauptrollen in „Jane Austens Emma“, „Große Erwartungen“, „Shakespeare in Love“ und „Sylvia“. Mit seinem grundlegend pessimistischen Grundton, der Brutalität der Morde und dem weit verbreiteten Gefühl, dem Bösen in der Welt nichts entgegensetzen zu können, den großartigen Darstellern und der perfekten Inszenierung mit dem schockierenden Finale ist „Sieben“ längst ein Klassiker des Thriller-Genres.
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