High Flying Bird
Seit seinem aufsehenerregenden Debüt „Sex, Lügen und Video“ (1989) hat der amerikanische Filmemacher Steven Soderbergh so unterschiedliche wie grandiose Werke wie die Heist-Trilogie „Ocean“, das Drogenkartell-Drama „Traffic“, den Seuchen-Thriller „Contagion“ und das Oscar-prämierte Drama „Erin Brockovich“ abgeliefert. In den letzten Jahren hat er den großen Studios in Hollywood aber den Rücken zugewandt und eigene Wege für die Inszenierung und Distribution seiner Filme gesucht. Nach dem mit iPhone 7 in nur zehn Tagen gedrehten Thriller „Unsane: Ausgeliefert“ (2018) legte Soderbergh nur ein Jahr darauf mit „High Flying Bird“ ein Drama vor, das wieder innerhalb weniger Tage mit einem iPhone (8) gefilmt worden ist und die besorgniserregenden Entwicklungen um aberwitzige Millionenbeträge im Profisport kritisch hinterfragt.
Der anhaltende Streik in der amerikanischen Basketball-Profiliga NBA setzt nicht nur die Firma des Spieleragenten Ray Burke (André Holland) unter Druck, auch die von Burke vertretenen Spieler wie der Rookie Erick Scott (Melvin Gregg) sind an einem Punkt angelangt, an dem sie ihre Kredite und Rechnungen nicht mehr bedienen und zahlen können. Wegen der angespannten finanziellen Lage, während der auch die wichtigen Werbeeinnahmen weggebrochen sind, droht Burke sogar seinen Job zu verlieren. Bei dem Krisentreffen mit Erick in einem schicken Restaurant wird Burkes Kreditkarte nicht mehr akzeptiert. Die angespannte Situation bringt ihn allerdings auf eine ausgefallene Idee. Als sich Erick und sein zukünftiger Teamkollege Jamero Umber (Justin Hurtt-Dunkley) ein publikumswirksames Twitter-Gefecht liefern, nutzt er die alljährliche Promo-Veranstaltung des altgedienten Basketballtrainers Spence (Bill Duke) dazu, ein Eins-gegen-Eins-Duell der beiden Rookies in die Wege zu leiten, das abseits der reglementierten Liga für Furore sorgt und den Weg frei machen könnte für eine von zumeist weißen Teambesitzern wie David Seton (Kyle MacLachlan) unabhängige Liga, in der die erwirtschafteten Gelder gerechter verteilt werden. Doch um diesen Plan umzusetzen, hat Burke nur 72 Stunden Zeit, dann läuft der Lock Out der NBA aus…
Kritik:
Oliver Stone hat bereits 1999 mit dem Football-Drama „An jedem verdammten Sonntag“ auf packende Weise thematisiert, wie groß das Ungleichgewicht im Machtgefüge zwischen den weißen Teambesitzern und den Spielern ist, unter denen nur die allerbesten Millionen von Dollars im Jahr verdienen, aber wegen des hohen Verletzungsrisikos oft gar nicht so viele Jahre spielen können.
Während Stones Film aber noch in bester Hollywood-Sportfilm-Manier etliche Szenen auf dem Spielfeld inszenierte, spielt sich Soderberghs Drama fast ausschließlich auf einer Dialogebene jenseits des Spielfelds ab und macht so von Beginn an deutlich, wo das Spiel wirklich stattfindet, wo die wichtigen Entscheidungen getroffen werden, nämlich in schick ausgestatteten Bars, Restaurants, Hotels und Büros. Allein der unterkühlte Look der mit dem iPhone gedrehten Bilder lässt jede Verbindung mit dem schweißtreibenden Sport vermissen und fokussiert das Drama auf die Ebene, auf der die Entscheidungen getroffen werden, in denen die jungen schwarzen Rookies mit vollmundigen Versprechungen in die Teams gelockt werden, wo sie letztlich nur dazu benutzt werden, um möglichst viel Geld in die Teamkassen und damit in die Geldbörsen ihrer Besitzer zu spülen.
Dem Drehbuch vom Oscar-prämierten Tarell Alvin McCraney („Moonlight“) fehlt es zwar an physischer Spannung, wie sie durch die obligatorischen Duelle auf dem Spielfeld entsteht, dafür lotet es geschickt die Mechanismen hinter den Kulissen des Profisports aus, in dem der Profit über den Sport an sich regiert. Dabei muss McCraney nicht mal die Rassismus-Karte offensichtlich ausspielen. Dem aufmerksamen Zuschauer wird nicht zuletzt durch die Einblendungen von Statements schwarzer Rookies zu ihrer Aufnahme in begehrte NBA-Teams vor Augen geführt, wie die oft aus prekären Verhältnissen stammenden Straßenspieler mit dem Versprechen von schönen Frauen, schicken Wohnungen und Luxus geködert werden.
Die Dramatik der modernen Sklaverei inszeniert Soderbergh mit unterkühlten Bildern in recht langen Sequenzen, so dass die mit Fachbegriffen gespickten, pointiert inszenierten Dialoge in das Zentrum dieses denkwürdigen, atypischen Films rücken, der natürlich nicht im Kino, sondern bei Netflix angelaufen ist.
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