Sex, Lügen und Video
Mit „Sex, Lügen und Video“ (1989) fing alles an. Steven Soderbergh, der seine Filmkarriere als Cutter von NBC-Fernsehshows und Regisseur von Werbespots, Musikvideos und dem Yes-Konzertfilm „9012 Live“ begonnen hatte, hat es wahrscheinlich Wim Wenders zu verdanken, dass sein Regiedebüt bei dessen Uraufführung in Park City, Utah, von ihm entdeckt und durch ihn im Wettbewerb von Cannes laufen durfte, wo Soderbergh als bislang jüngster Regisseur mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde und schließlich auch eine Oscar-Nominierung für das beste Drehbuch erhielt. An diesen Erfolg konnte Soderbergh lange Zeit nicht anknüpfen, doch heute zählt er mit Filmen wie „Traffic“, „Erin Brockovich“, „Solaris“ und der „Ocean“-Trilogie zu jenen Regisseuren, die sich im Spannungsfeld zwischen Independent- und Mainstream-Kino souverän zu behaupten wissen.
John (Peter Gallagher) ist ein erfolgreicher Anwalt, der in seiner Kanzlei gerade zum Sozius befördert worden ist und mit Ann (Andie MacDowell) eine wunderschöne Frau hat. Doch die Beziehung ist alles andere als glücklich. Hinter den Kulissen des einladend hellen, schicken Zuhauses bespricht Ann mit ihrem Therapeuten (Ron Vawter) die Probleme der wachsenden Müllberge und unvorhergesehener Flugzeugabstürze, aber worum sie sich wirklich Sorgen machen sollte, ist die Abneigung, sich von ihrem Mann berühren zu lassen. Sex wird ihrer Meinung nach überbewertet. Was Ann nicht weiß: John unterhält ausgerechnet mit ihrer Schwester Cynthia (Laura San Giacomo) eine Affäre.
Als John seinen alten Freund Graham (James Spader) einlädt, den er seit neun Jahren nicht gesehen hat, nimmt ihn Ann in Empfang, während sich John mit Cynthia in ihrer Wohnung vergnügt. Ann und Graham entwickeln schnell ein besonderes Vertrauensverhältnis zueinander. Graham gesteht ihr, dass er impotent sei und Videos von Frauen dreht, die über ihre sexuellen Erfahrungen berichten. Im Gegensatz zu Ann, die keinen Sinn in der Masturbation sieht, befriedigt sich Cynthia vor Grahams laufender Kamera. Graham behauptet Ann gegenüber, dass seine Impotenz mit seiner pathologischen Lügerei zusammenhänge, doch letztlich ist es John, der mit seinen Lügen das Kartenhaus der fragilen Beziehungen zum Einsturz bringt…
Kritik:
Gerade mal einen Monat und 1,2 Millionen Dollar brauchte Steven Soderbergh, um sein kleines Juwel zu realisieren, um das sich nach der Uraufführung die Verleiher geradezu gerissen haben. In diesem Ensemblefilm führt Soderbergh vier klischeehafte Figuren – die frigide Haus- und Ehefrau, den selbstverliebten und geilen Yuppie, die offenherzige Thekenschlampe und den impotenten Softie – zusammen, um sie in verschiedenen Konstellationen mit ihren Rollenklischees zu spielen und diese schließlich aufzubrechen. Die bedeutendste Veränderung macht tatsächlich Ann durch, die bei aller Schönheit zu Anfang höchst verunsichert wirkt, die Arme unter der Brust verschränkt hält, in unpassenden Momenten künstlich auflacht, ihre tolle Figur in Jeans und weiten Blusen versteckt und sich jede Freude verbietet. Durch Grahams direkte, aber auch ehrliche Art, ihr eigentliches Wesen kennenzulernen, öffnet sich Ann sukzessive und erkennt dabei, wie unglücklich sie in ihrem Leben letztlich ist.
Graham dient mit seiner Kamera als Katalysator, um langwährende Schamgrenzen einzureißen. Die Kamera hilft allerdings auch Graham selbst, mit dem Trauma seiner gescheiterten Beziehung mit einer Frau namens Elizabeth umzugehen, indem er vor den Videotapes mit den sexuellen Geständnissen der von ihm gefilmten Frauen heimlich masturbiert.
Masturbation ist also vornehmlich das große Thema in Soderberghs Beziehungskomödie, doch eigentlich spielt der Filmemacher nur genüsslich die Irrungen und Wirrungen zwischen den Geschlechtern aus, thematisiert wechselnde Ausprägungen des Geschlechtstriebs, Macho-Gehabe und Weichei-Theatralik, schließlich die Dynamik in Paarbeziehungen, auch zwischen Geschwistern. Das ist nicht nur für ein Erstlingswerk überraschend souverän inszeniert, sondern von den vier Hauptdarstellern auch toll gespielt.
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