König der Murmelspieler

Nach seinem von Kritikern wie Publikum gleichermaßen geliebten Kinodebüt „Sex, Lügen und Video“ (1989) stand Steven Soderbergh vor der Herausforderung, sein Können auch in den nachfolgenden Werken zu beweisen, woran der talentierte Filmemacher zumindest in kommerzieller Hinsicht scheitern sollte: Sowohl sein expressionistisch anmutendes Mystery-Drama „Kafka“ (1991) als auch die biografische Coming-of-Age-Geschichte „König der Murmelspieler“ (1993) demonstrierten zwar Soderberghs Vielseitigkeit in Bezug auf Genres und Themen, fanden aber kaum den Weg zu einem Publikum, das sich dafür interessierte. Dabei ist gerade das auf den Kindheitserinnerungen des amerikanischen Autors A. E. Hotchner („Papa Hemingway. Ein persönliches Porträt“, „Die erstaunlichen Abenteuer des Aaron Broom“) beruhende Drama wunderbar warmherzig und dicht an der Buchvorlage inszeniert worden. 

Inhalt: 

Der zwölfjährige Aaron Kurlander (Jesse Bradford) lebt auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1933 mit seiner Mutter (Lisa Eichhorn), seinem jüngeren Bruder Sullivan (Cameron Boyd) und seinem als Handelsvertreter arbeitenden Vater (Jeroen Krabbé) im Empire-Hotel, einer heruntergekommenen Unterkunft auf dem Hügel der Stadt St. Louis, Missouri. Da Aarons Vater kaum noch Geld verdient, wird Sullivan zu Verwandten geschickt, die lungenkranke Mutter muss ins Sanatorium. Um sich beruflich zu verbessern, geht sein Vater als Uhrenvertreter auf Reisen, so dass Aaron schlagartig auf sich allein gestellt ist. In der Schule erfindet Aaron derweil Geschichten, um sich nicht vor seinen Mitschülern zu blamieren, seiner ihm wohlgesonnenen Lehrerin (Karen Allen) tischt er sogar eine Agentengeschichte auf, die dazu führen soll, dass Briefe an seinen Vater unter einem anderen Namen zugestellt werden, ihn also faktisch nicht erreichen, denn sollte herauskommen, dass Aaron nicht unter der angegebenen Adresse wohnt, müsste er die Schule wechseln. 
Da Aaron nicht wie von seinem Vater versprochen im nahegelegenen Café jeden Tag ein Abendessen serviert wird, muss der Junge viel improvisieren, um sich durchzuschlagen. Dabei helfen ihm vor allem andere Hotelbewohner, der ältere Lester (Adrien Brody) ebenso wie der wohlhabend wirkende Mr. Mungo (Spalding Gray), der oft die Gesellschaft einer attraktiven jungen Dame (Elizabeth McGovern) genießt. Um sich Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen, beginnt er wie sein sozial besser gestellter Klassenkamerad, Kanarienvögel zu züchten, versucht sich als Caddy und nimmt Einladungen zum Essen an, doch bleibt ihm der Genuss der in Aussicht gestellten Leckereien immer wieder verwehrt. Als sowohl die Barackenunterkunft vor dem Hotel für die Ärmsten von der Polizei geräumt als auch Lester verhaftet wird, weiß Aaron nicht mehr weiter… 

Kritik: 

Steven Soderbergh hat selbst das Drehbuch zu den Kindheitserinnerungen des 2020 verstorbenen Autors A. E. Hotchner verfasst und bewahrt in seiner filmischen Adaption die literarische Qualität der Vorlage. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der aufgeweckte, doch in ärmlichen Verhältnissen lebende Aaron, der mit seinen zwölf Jahren viel zu früh erwachsen werden muss. Bereits in seinem Schul-Aufsatz über den Piloten und Nationalhelden Charles Lindbergh demonstriert der Zwölfjährige seinen Einfallsreichtum, verknüpft auf humorvolle Weise Realität und Fiktion. Aaron wird als gutaussehender, charmanter Junge portraitiert, der seinem Bruder die Kunst des Murmelspiels beibringt, Zigarrenbanderolen sammelt und Kanarienvögel züchtet, um Geld für das eigene Überleben zu verdienen. 
Dabei trifft Soderbergh auch humorvolle Töne, hält in seiner Inszenierung geschickt die Waage zwischen den dramatischen Überlebensstrategien eines auf sich gestellten Jungen und damit ebenfalls verbundenen Erfolgserlebnissen, etwa der Rettung des von den Steuereintreibern gesuchten Autos seines Vaters. Da der Film ganz auf die Perspektive des Jungen ausgerichtet ist, bleibt der zentrale Konflikt zwischen ihm und seinem Vater, der ihn im Stich lässt, im Hintergrund, wird erst am Ende recht unkompliziert aufgelöst. Neben der beherzten Darstellung von Jesse Bradford („Flags of Our Fathers“, „Aus Mangel an Beweisen“) überzeugt vor allem die sepia- und goldgetönte Farbdramaturgie von Kameramann Elliot Davis („Out of Sight“, „Twilight – Biss zum Morgengrauen“) und der elektronisch verspielte Score von Cliff Martinez („Contagion“, „Only God Forgives“). 

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