Frau am Abgrund
Nach seinem längst zum Klassiker avancierten Film-noir-Drama „Laura“ (1944) und dem nachfolgenden „Mord in der Hochzeitsnacht“ (1945) kehrte Otto Preminger erst fünf Jahre später wieder zum Film noir zurück, holte dafür „Laura“-Star Gene Tierney mit ins Boot und präsentierte mit „Frau am Abgrund“ ein vor allem psychologisches Drama, das sich der damals populär werdenden Theorien von Sigmund Freud bediente und das Portrait einer Frau in Not mit schicken Noir-Elementen abrundete. An seine vorangegangene Noir-Beiträge reicht „Whirlpool“ – so der Originaltitel – aber nicht heran.
Nach dem Besuch eines Kaufhauses wird Ann Sutton (Gene Tierney) vom Kaufhausdetektiv Hogan (Ian Macdonald) daran gehindert, in ihrem Wagen den Heimweg anzutreten. Die attraktive Frau des bekannten Psychoanalytikers Dr. William Sutton (Richard Conte) wurde nämlich von einer Verkäuferin dabei beobachtet, wie sie eine 300 Dollar teure Brosche in ihrer Handtasche verschwinden ließ. Als Ann im Büro des Geschäftsführers Mr. Simms (Larry Keating) Rede und Antwort stehen soll, gelingt es dem zufällig auftauchenden Hypnotiseur und Heiler David Korvo (José Ferrer), die Situation zu deeskalieren, indem die Brosche auf dem regulären Konto im Wilshire Store aufgenommen wird, dass Ann dort besitzt. Als Ann nach Hause kommt und ihre Haushälterin (Myrtle Anderson) nach ihrem Mann schicken lässt, will sie ihm reinen Wein einschenken, doch dann findet sie ein weitaus unbeschwerteres Thema im Gespräch mit ihm.
Als Ann schließlich einen Anruf von Korvo erhält und auf ein gemeinsames Mittagessen besteht, wirft sie ihre eigentlichen Pläne über Bord, da sie fürchtet, von Korvo erpresst zu werden. Tatsächlich unterschreibt sie ihm bei dem Treffen sofort einen Scheck über 5000 Dollar, von dem Korvo allerdings nichts wissen will. Stattdessen will er sie selbst durch Hypnose von ihrer Kleptomanie heilen, die sie bereits seit ihrer Kindheit plagt. Ann kann Korvos Wunsch kaum abschlagen, ahnt aber nicht, dass der Hypnotiseur weitaus perfidere Pläne mit ihr hat …
Kritik:
Preminger drehte seinen dritten Film noir für 20th Century Fox nach dem Roman „Methinks the Lady“ von Guy Endore, den die beiden Drehbuchautoren Ben Hecht („Ich kämpfe um dich“, „Berüchtigt“) und Andrew Solt zu einem Drehbuch verarbeiteten. Dabei haben sie eine vor allem in der zweiten Hälfte immer kruder werdende Mixtur aus Hypnose und Psychoanalyse kreiert, die dem zunächst interessanten Plot letztlich seine Glaubwürdigkeit nimmt. Gene Tierney sieht zwar wieder bezaubernd aus, mäandert allerdings mit ihrem oft abwesendem Gesichtsausdruck etwas deplatziert durch die Geschichte, die von Liebe, Vertrauen, Betrug, Mord, Angst und Erpressung handelt, die einzelnen Elemente aber kaum ansprechend miteinander zu verknüpfen vermag.
Vor allem nimmt man Richard Conte („Kennwort 777“, „Gardenia – Eine Frau will vergessen“) und Gene Tierney nicht das seit acht Jahren glückliche Ehepaar ab. Weitaus interessanter gestalten sich die Figuren des zwielichtigen Hypnotiseurs David Korvo, den José Ferrer in seiner erst zweiten Rolle nach seinem Debüt in Victor Flemings „Johanna von Orleans“ (1948) auf packend vielschichtige Weise verkörpert. Und auch Charles Bickford, der bereits in Premingers „Mord in der Hochzeitsnacht“ einen unberechenbaren Cop spielte, zeigt als ermittelnder Detective wieder eine bemerkenswerte Leistung.
Während die Geschichte zum Finale hin zunehmend schwächelt, bleibt Premingers Inszenierung über alle Zweifel erhaben. Kameramann Arthur C. Miller („Im Zeichen des Zorro“, „Weißer Oleander“) kreiert wundervolle Bilder, die David Raksin („Laura“, „Die Macht des Bösen“) stimmungsvoll musikalisch untermalt. Doch diese Qualitäten reichen nicht aus, um „Whirlpool“ zu einem Highlight des Genres zu machen.
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