Full Metal Jacket

Seit seinem Meisterwerk „Uhrwerk Orange“ (1971) benötigte Ausnahme-Regisseur Stanley Kubrick stets mindestens vier Jahre, um einen neuen Film in die Kinos zu bringen, was seiner Aussage nach vor allem dem Umstand geschuldet war, dass er nicht die richtige Geschichte fand, die ihm interessant genug erschien, sie auf der Leinwand zu präsentieren. Nachdem Kubrick mit „Wege zum Ruhm“ (1957) und „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (1964) bereits zwei ganz unterschiedliche Kriegsfilme produziert hatte, lernte er 1980 mit Michael Herr den Autor der Vietnam-Reportage „Ein Bericht“ kennen und stieß drei Jahre später auf Gustav Hasfords Kriegsgeschichte „The Short-Timers“. Zusammen mit Herr arbeitete Kubrick das Drehbuch aus und realisierte 1987 mit „Full Metal Jacket“ einen Antikriegsfilm, der zwar im Schatten von Oliver Stones ein Jahr zuvor gestarteten „Platoon“ blieb, aber fraglos im Gedächtnis des Betrachters bleibt. 

Inhalt: 

Im Rekrutenausbildungszentrum Parris Island werden jungen Männern die Köpfe kahl geschoren, in Uniformen gesteckt. Gunnery Sergeant Hartman (R. Lee Ermey) beschimpft und demütigt die jungen Männer so heftig, dass er ihren Willen bricht, sie als Marines zu Kampfmaschinen formt, damit sie nach Vietnam geschickt werden können. Hartman macht sich einen Spaß daraus, die ihm anvertrauten Männer als „Scheiße“ zu bezeichnen und sie u.a. mit Mädchennamen zu versehen. Da sich der Gefreite J.T. Davis (Matthew Modine) weigert, die Jungfrau Maria anzuerkennen, belohnt Hartman den charakterfesten Rekruten mit der Aufgabe, den etwas dicklichen und unbeholfen wirkenden Leonard Lawrence, genannt Private Paula (Vincent D’Onofrio), zu betreuen. Zu aller Überraschung entwickelt sich Lawrence zu einem erstklassigen Scharfschützen, der allerdings zunehmend den Sinn für die Realität verliert, mit seinem Gewehr spricht und schließlich erst seinen verhassten Ausbilder Hartman und dann sich selbst erschießt. In Vietnam kann sich Private Joker als Kriegsberichterstatter bei der Militärzeitung „Stars & Stripes“ mit seinem ihm zur Seite gestellten Fotografen, Private Rafterman (Kevin Mayor Howard), eine Zeitlang dem Kriegsgeschehen entziehen, während er mit seinen Berichten dafür sorgen soll, die Moral der Truppe zu stärken. 
Als die beiden Reporter näher an die Kampfhandlungen rücken, trifft Joker seinen alten Ausbildungskameraden Private Cowboy (Arliss Howard) wieder und lernt mit Animal Mother (Adam Baldwin) eine Kampfmaschine kennen, wie sie Hartman bei seiner schonungslosen Ausbildung vor Augen gehabt haben dürfte. Die Situation wird kritisch, als sich Cowboys Trupp zu weit vom vereinbarten Checkpoint weg bewegt hat und nach und nach von einem vietnamesischen Scharfschützen dezimiert wird … 

Kritik: 

Kubrick hat sich in der Adaption von Hasfords autobiografischem Erlebnisbericht „The Short-Timers“ über seine Zeit in der Ausbildung in Parris Island, South Carolina, und in Vietnam als Sergeant im Marine Corps zwar eng an die dort geschilderte Ausbildungspraxis und Kriegserlebnisse gehalten, aber auch die Erfahrungen seines Co-Drehbuchautoren Michael Herr berücksichtigt, der für den „Esquire“ als Kriegsberichterstatter in Vietnam gewesen war. Kubrick lag es fern, einen typischen Antikriegsfilm zu drehen, sondern bemühte sich um eine möglichst authentische Darstellung des Krieges, wofür er selbst etliche Dokumentationen, Erfahrungsberichte und Fotos zu Rate zog und den ersten Teil seines Films, die die Ausbildung der Rekruten thematisiert, in England auf einem ehemaligen Stützpunkt der Royal Air Force nahe Cambridge drehte, während für die Ruinen der vietnamesischen Stadt Huê ein für den Abriss vorgesehenes Gaswerk im Osten Londons ausgewählt wurde. 
Die Einführungssequenz mit der voller Obszönitäten und Beleidigungen gespickten Ansprache von Gunnery Sergeant Hartman (der großartig von dem ehemaligen Rekrutenausbilder R. Lee Ermey verkörpert wird) setzt den Ton für den ersten Teil des Films, denn hier geht es vor allem darum, dass jedem Rekruten die Persönlichkeit entzogen wird. Beginnend mit dem gleichmachenden Scheren der Köpfe über die Uniform bis zum Runtermachen jedes einzelnen Rekruten verfolgt Hartman das Ziel, die subjektiven Empfindungen der jungen Männer auszulöschen und sie zu stereotypen Kampfmaschinen zu formen, die jedem Befehl widerspruchslos Folge leisten. Während Jokers Persönlichkeit aber stark genug ist, seine Gesinnung mit einem „Peace“-Zeichen an seiner Uniform mit dem Schriftzug „Born to Kill“ auf seinem Helm auszudrücken, verliert Lawrence jeden Sinn für die Realität und löscht sein Leben ebenso aus wie das seines Ausbilders. 
In Vietnam muss auch Joker feststellen, dass er zu einer emotionslosen Kriegsmaschine geworden ist, dass sich die Ordnung der Ausbildung im ersten Teil des Films in das totale Chaos auf dem Kriegsschauplatz verwandelt, der die Soldaten sehr zynisch mit der hoffnungslosen Situation in Vietnam umgehen, dem Zuschauer aber das Lachen im Hals ersticken lässt. Besonders die Musikauswahl mit Songs von Nancy Sinatra („These Boots Are Made for Walkin‘“), The Rolling Stones („Paint It Black“), The Trashmen („Surfin‘ Bird“), Johnne Wright („Hell Vietnam“) u.a. sorgt für einen ironischen Unterton, der letztlich auf die Dualität des Menschen im Jung’schen Sinne verweist, die für Kubrick ein wesentlicher Aspekt bei „Full Metal Jacket“ gewesen ist. 
Die überzeugenden Jung-Darsteller, von denen vor allem Matthew Modine („Birdy“) und Vincent D’Onofrio („Salz auf unserer Haut“) zu Stars wurden, und vor allem R. Lee Ermeys bemerkenswerter Auftritt als menschenverachtender Ausbilder fügen sich perfekt in Kubricks gelungen inszeniertes, gekonnt ausgestattetes und sorgfältig geschnittenes (Anti-)Kriegs-Drama ein, das einen ähnlich starken Eindruck hinterlässt wie Oliver Stones „Platoon“ oder Brian De Palmas „Die Verdammten des Krieges“.  

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