Dead Man

Seit seinem ersten Spielfilm „Permanent Vacation“ (1980) ist das Motiv des Reisens ein immer wiederkehrendes Thema bei Jim Jarmusch. Mit „Dead Man“ (1995) präsentiert der amerikanische Independent- und Autorenfilmer ein Road Movie, das symbolträchtig und sozialkritisch die Neue Welt der Alten Welt gegenüberstellt.
Nach dem Tod seiner Eltern reist der junge William Blake (Johnny Depp) im Jahr 1876 mit dem Zug von Cleveland in den amerikanischen Westen, wo ihn eine Stelle als Buchhalter erwartet. Wie er vom Maschinisten (Crispin Glover) erfährt, ist Blakes Zielort mit dem passenden Namen Machine zugleich die Endstation für den Zug, in dem Blake von den wechselnden wie schweigsamen Passagieren nur neugierig oder skeptisch gemustert wird. Als er im Büro der Dickinsonschen Metallfabrik vorstellig wird, um seinen Posten anzutreten, lacht ihn der Bürovorsteher Scholfield (John Hurt) nur aus. Die Stelle, die Blake vor zwei Monaten zugesagt worden war, ist längst besetzt. Mit dem Gewehr vom Chef John Dickinson (Robert Mitchum) persönlich davongejagt, genehmigt sich Blake eine kleine Flasche Fusel und wird Zeuge, wie die Papierblumen verkaufende junge Thel (Mili Avital) unsanft aus dem Saloon geworfen wird und im Schlamm landet. Blake begleitet das hübsche Mädchen nach Hause und vergnügt sich mit ihr, bis Thels reumütiger Ex-Freund Charlie (Gabriel Byrne) auftaucht und seine Geliebte erschießt. Blake wird ebenfalls von der Kugel, die Thels Leben ausgelöscht hat, schwer verwundet und tötet Charlie, bevor er das gleiche Schicksal erleiden muss wie sein Papierblumenmädchen. Da er nun zum Outlaw geworden ist, flieht Blake aus der Stadt, verfolgt von den drei Killern Cole Wilson (Lance Henriksen), Conway Twill (Michael Wincott) und „The Kid“ Pickett (Eugene Byrd), die Dickinson angeheuert hat, um den Mörder seines Sohnes zu töten.
Währenddessen gelangt Blake in die Obhut des ausgestoßenen Indianers Nobody (Gary Farmer), der Blakes Wunden zwar versorgen, aber nicht die Kugel entfernen kann, die zu nah am Herzen des Verwundeten sitzt. Niemand hält Blake für den verstorbenen Dichter William Blake und sieht seine Mission darin, Blake auf dem Weg zur Akzeptanz seines Todes zu begleiten. Auf ihrer gemeinsamen Reise durch den Westen geraten Blake und Nobody immer wieder in brenzlige Situationen, lassen weitere Tote hinter sich und erhöhen so das Kopfgeld, das auf Blake ausgesetzt ist.
Es fällt nicht schwer, die Eisenbahn, die Kleinstadt Machine und die dort ansässige Metallfabrik ebenso wie ihren diktatorischen, seinen Besitz jederzeit mit Waffengewalt verteidigenden Eigentümer als Vertreter der modernen Welt zu sehen, die sich selbstgefällig und rücksichtslos alles nehmen, wonach ihnen der Sinn steht. Landstriche werden wirtschaftlich nutzbar gemacht, Ureinwohner vertrieben und getötet, materielle Errungenschaften dominieren über uraltes Wissen und die sakralen Geheimnisse des Lebens. Johnny Depp wandelt als etwas naiver junger Mann zwischen beiden Welten, durch unglückliche Umstände unverschuldet an der Grenze zwischen Leben und Tod, Alter und Neuer Welt. Jarmusch lässt in „Dead Man“ keinen Zweifel daran, was er von den zivilisatorischen Errungenschaften der Neuen Welt hält, die längst nicht so tolerant und großartig ist, wie sie sich gern selbst sieht. Am Ende präsentiert sich „Dead Man“ als konsequent gegen alle Regeln inszenierter Anti-Western mit einem sympathischen Outlaw wider Willen und einem Indianer, der fast als Karikatur seiner Kultur angelegt ist.
Wunderbar von Jarmuschs Stammkameramann Robby Müller in schwarz-weiße Bilder eingefangen und von Neil Youngs sperrigen Gitarrenklängen untermalt, ist „Dead Man“ ein fast spiritueller Trip durch eine vergangene Zeit, die durch den machtgierigen Weißen zu einem gewaltsamen Ende geführt worden ist. Bei aller Tragik hat der Film natürlich auch seine komischen Momente. Johnny Depp und Gary Farmer geben ein ebenso ungleiches wie tolles Duo ab, das den Film fast allein auf seinen Schultern zu tragen versteht. Aber auch die prominent besetzten Nebenrollen (u.a. Alfred Molina, Billy Bob Thornton und Iggy Pop) sorgen immer wieder für unterhaltsame Momente in einem Film, der zu den Höhepunkten der DVD- und Blu-ray-Box „Jim Jarmusch – The Complete Collection“ zählt, die jetzt von StudioCanal veröffentlicht worden ist.
"Dead Man" in der IMDb

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