Mystery Train

Bereits in seinen Frühwerken „Permanent Vacation“ (1980), „Stranger Than Paradise“ (1984) und „Down by Law“ (1986) hat sich der amerikanische Autorenfilmer Jim Jarmusch als brillanter Erzähler von Geschichten von ganz gewöhnlichen Menschen etabliert, die sich abseits der Erfüllung des amerikanischen Traums eher durch das Leben treiben lassen, statt auf ein Ziel hinzuarbeiten. Diesem Konzept bleibt Jarmusch auch in seinem Episodenfilm „Mystery Train“ (1989) treu, der in drei Episoden die Schicksale ganz verschiedener Typen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenführt.
In der ersten Episode „Far From Yokohama“ reisen die beiden japanischen Touristen Jun (Masatoshi Nagase) und Mitsuko (Youki Kudoh) mit dem Zug nach Memphis, Tennessee, wo sie nicht nur das berühmte Elvis-Anwesen Graceland besuchen wollen, sondern auch das Sun Studio, in denen berühmte Rock’n’Roll-Größen Songs eingespielt haben. Nachdem die Führung durch das unscheinbare Sun Studio wenig erquicklich gewesen ist, nimmt sich das junge Paar ein Zimmer im Hotel „Arcade“, wo sie weiter über die großen Namen des Rock’n’Roll diskutieren, bis sie schließlich durch einen Knall aufgeschreckt werden, der sich wie ein Pistolenschuss anhört …
Die Italienerin Luisa (Nicoletta Braschi) will in der Episode „A Ghost“ ihren verstorbenen Mann nach Italien überführen, ist aber durch Probleme im Flugverkehr gezwungen, noch eine Nacht in Memphis zu verbringen. Als sie gerade im Hotel „Arcade“ einchecken will, trifft sie mit der verzweifelten Dee Dee (Elizabeth Bracco) im Foyer zusammen, die sich gerade von ihrem Freund Johnny getrennt hat und nicht genügend Geld für ein Zimmer hat. Die gutmütige Luisa teilt sich mit der jungen Frau ihr Zimmer und hört sich Dee Dees Probleme an, bis ein Schuss den unaufhörlichen Redefluss beendet. In der abschließenden Episode „Lost In Space“ hat Johnny (Joe Strummer) nicht nur seinen Job verloren, sondern wurde auch von seiner Freundin verlassen. Deprimiert und bewaffnet will er sich in einer Bar volllaufen lassen …
Oberflächlich betrachtet erzählt Jim Jarmusch in „Mystery Train“ von Schicksalen ganz unterschiedlicher Menschen, deren Wege sich in Elvis‘ Geburtsstadt zwar nicht wirklich kreuzen, die aber durch einen Pistolenschuss, den alle hören, miteinander verbunden werden. Natürlich spielt Elvis eine tragende Rolle in dem Film. Nach einem seiner Songs ist nicht nur der Film benannt, auch sein Song „Blue Moon“ taucht immer wieder in dem Episodendrama auf. Sein Portrait hängt in den Zimmern des Hotel Arcade, in den Sun Studios hat er ein Geburtstagslied für seine Mutter aufgenommen, der von ihm verkörperte Rock’n’Roll wird vor allem von den japanischen Touristen durchgehend thematisiert. Davon abgesehen erzählt „Mystery Train“ teils skurrile, teils alltägliche Geschichten von ganz normalen Menschen, die eine Nacht in den weniger bekannten Teilen von Memphis verbringen. Selbst der Bahnhof, an dem das japanische Paar ankommt, wirkt verlassen und wenig einladend. In den einzelnen Episoden beschreibt Jarmusch, wie sich jede seiner liebevoll gezeichneten Figuren ihren Weg durch den Alltag und seinen Problemen bahnt. Dass dabei der Jarmusch-typische Humor nicht zu kurz kommt, dafür sorgen vor allem die naiv auftretende Nicoletta Braschi („Down by Law“) und Blues-Sänger Screamin' Jay Hawkins als cooler Nachtportier. Auch sonst begegnet der Zuschauer vertrauten Namen aus dem Jarmusch-Universum. John Lurie komponierte den zurückhaltenden Score, der durch Elvis-Songs ergänzt wird, Robby Müller sorgte wieder für eindringliche Bilder und Tom Waits ist wie in „Down by Law“ als Radio-DJ zwar nicht zu sehen, aber wenigstens zu hören. Ausgezeichnet mit dem Sonderpreis für eine künstlerisch hochwertige Leistung bei den Filmfestspielen in Cannes 1989 bot sich für Jim Jarmusch anschließend die Möglichkeit, mit bekannteren Namen (u.a. Winona Ryder, Gena Rowlands, Armin Müller-Stahl) sein nächstes Episoden-Werk „Night on Earth“ (1991) zu realisieren.
"Mystery Train" in der IMDb

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