Fellinis Casanova

Für Fellini ist das Leben stets ein rätselhaftes und erstaunliches Abenteuer gewesen, weshalb seine Protagonisten oft als naive, von Staunen erfüllte Träumer durch eine fremdartige Welt wandeln. In gewisser Weise trifft das auch auf „Fellinis Casanova“ zu, Federico Fellinis 1976 verfilmte Adaption der Autobiografie „Geschichte meines Lebens“ des italienischen Abenteurers und Schriftstellers Giacomo Casanova, allerdings zeichnet Fellini in diesem düsteren Werk das wenig schmeichelhafte Portrait eines von Abenteuerlust und sexueller Lust getriebenen Mannes, der nicht nur sich selbst, sondern auch seinem Umfeld immer wieder seine Potenz beweisen muss. Nun erscheint der Film in einer neuen „Federico Fellini“-Edition bei Arthaus/StudioCanal.
Als während einer prunkvollen Zeremonie beim Karneval in Venedig der aus den Tiefen des Canal Grande hervorgezogene Kopf der Göttin Luna wieder untertaucht, wird der Untergang der Göttin als böses Omen gedeutet. Das hält den maskierten Casanova (Donald Sutherland) aber nicht davon ab, einer Einladung zu einer einsamen Insel zu folgen, wo ihn eine Nonne (Margareth Clémenti) zu einem nächtlichen Stelldichein erwartet.
Unter den beobachtenden Augen des französischen Botschafters und den Geräuschen einer mechanischen Spieluhr in Gestalt eines goldenen Hahns erledigt Casanova seinen Liebesdienst auf ebenso akrobatisch wie mechanisch, nur um dem französischen Diplomaten seine Dienste als Wissenschaftler, Künstler und Alchemist anzubieten. Als er die Insel wieder verlässt, wird Casanova verhaftet, von der Inquisition der Ketzerei angeklagt und in die Bleikammern geworfen. Dort erinnert sich der Gefangene an seine amourösen Abenteuer, beispielsweise an die Begegnung mit der jungen, von Blutarmut ausgezehrten Stickerin Anna Maria (Clarissa Mary Roll).
Als Casanova die Flucht aus den Bleikammern gelingt und nach Frankreich ins Exil geht, freundet er sich mit der ebenso reichen wie alten Madame d’Urfé (Cicely Browne) an, die mittels alchemistischer Prozesse die unsterbliche Seele eines Mannes erlangen möchte. Als sich Casanova mit ihr vereinigen soll, kann er das nur mit der Unterstützung seiner mit dem Hintern wackelnden Helferin Marcolina (Clara Algranti).
Besonders angetan hat es Casanova aber Henriette (Tina Aumont), mit der er eine Gesellschaft des exzentrischen Marquis Du Bois (Daniel Emilfork) im Herzogtum Parma besucht, auf der dieser in Gesellschaft frivoler Franzosen und streng in Schwarz gekleideter Spanier eine kleine Oper aus eigener Feder aufführt. Weitere Höhepunkte auf Casanovas Lebensweg ist die Begegnung mit der größten Frau der Welt, die nicht nur beim Armdrücken jeden Mann besiegt, und ein Wettbewerb im Wettvögeln in Rom. Doch der ausschweifende Lebensstil hinterlässt bei Casanova bald unauslöschliche Spuren der Zerstörung … Giacomo Girolamo Casanova (1725-1798), der durch seine eigenen Schilderungen seiner unzähligen Liebschaften den Begriff des Frauenhelden geprägt hat, würde sich bei Fellinis Adaption seiner Lebensgeschichte wahrscheinlich im Grabe umdrehen, denn der Filmemacher lässt schon in der prophetischen Eingangsszene am Canal Grande den düsteren Ton anklingen, der sich wie ein Schatten über Casanovas Leben legt. In Fellinis Augen zeichnet sich Casanovas Liebesleben allein durch ein übersteigertes Potenzgehabe aus und nicht durch besonders raffinierte Liebestechnik. Frauen sind nur dazu da, die Lust des Mannes zu befriedigen.
© StudioCanal
Der mechanische Charakter des Geschlechtsverkehrs wird jeweils durch das Bereitstellen und das metrische Schlagen der grotesken Spieluhr angezeigt und letztlich durch Casanovas mechanisches, von „Amore“-Grunzen begleitetes Auf- und Niederstoßen seines Unterleibs karikiert. Bezeichnenderweise scheint Casanova erst in der Vereinigung mit einer puppenhaften Automatenfrau Rosalba (Leda Lojodice) sein vermeintlich höchstes Glück.
Casanovas emotionale Isolation findet ihre Entsprechung in den kunstvollen, Oscar-prämierten Kostümen und den artifiziellen Kulissen, die Casanova jeweils von der Außenwelt abschirmen. In dieser künstlichen Welt wirkt Casanova wie eine von niederen Instinkten getriebene Kreatur, die in einer dekadenten Welt ungebremst auf ihren Niedergang zusteuert.
"Fellinis Casanova" in der IMDb

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