Tannöd

Als die junge Altenpflegerin Kathrin (Julia Jentsch) in den 50er Jahren zur Beerdigung ihrer Mutter, die sie kaum gekannt hat, in ihr Heimatdorf zurückkehrt, wird sie schnell mit dem grausamen, noch immer nicht aufgeklärten Mord an der Familie Danner und der Magd Marie (Dagmar Sachse) konfrontiert, der zwei Jahre zuvor die gesamte Dorfgemeinschaft erschütterte. Maries Schwester Traudl (Monica Bleibtreu) kann sich immer noch nicht verzeihen, dass sie Marie erst kurz zuvor auf den schrecklichen Tannöd-Hof geschickt hat, und lässt keine Gelegenheit aus, ihre Mitmenschen der Mittäterschaft zu beschuldigen. 
Schließlich hatten etliche Bauern im Dorf ein Motiv für den Mord an den herrschsüchtigen, arroganten Danner (Vitus Zeplichal), der sich immer wieder an seiner Tochter Barbara (Brigitte Hobmeier) vergangen und bei vielen Schulden hatte. Statt in Ruhe Abschied von ihrer Mutter nehmen zu können, werden beim Leichenschmaus die unterschiedlichsten Geschichten über Danner und Barbara ausgetauscht, und Kathrin bekommt immer mehr das Gefühl, dass ihre eigene Geschichte auch mit dem Schicksal der Danners zu tun haben könnte. 
Im Frühjahr 1922 sorgte der sechsfache Mord an einer ganzen Familie samt Magd im oberbayrischen Hinterkaifeck für großes Aufsehen auch über die Dorfgrenzen hinaus. Schließlich wurde die brutale Tat nie aufgeklärt und bereits in dem Mystery-Thriller „Hinter Kaifeck“ sechs Monate vor dem Kinostart von „Tannöd“ thematisiert. Mit dem durchschlagenden Erfolg von Andrea Maria Schenkels literarischer Adaption des spektakulären Kriminalfalls standen die Zeichen gut für eine erneute Verfilmung mit dem konkreten Verweis auf den Bestseller, allerdings nahmen sich Autorin Petra Lüschow und Regisseurin Bettina Oberli etliche Freiheiten heraus. 
So wurde das Geschehen nicht nur in die 50er Jahre verlegt, sondern der nüchtern erzählende, niemals wertende Duktus der Romanvorlage zugunsten einer stark wertenden Erzählweise aufgegeben. Zwar beugt sich die Verfilmung von „Tannöd“ auch den Konventionen des Genres, wechselt zwischen der Gegenwart und Episoden aus der Zeit vor dem Mord, die die jeweilige Sichtweise und Erinnerung der Erzählenden aufgreifen, aber im Vordergrund stehen eher die negativen Assoziationen zum hinterwäldlerischen Dorfleben. Hier wird jedes Klischee bemüht, von der Heuchelei des Pfarrers über Inzest und Fremdenfeindlichkeit bis zur Arroganz. 
Mit dieser geballten Inszenierung moralischer Verwerflichkeiten schießt „Tannöd“ sicher über das Ziel hinaus. Auf der anderen Seite sind einige Szenen gerade im Wald wunderbar atmosphärisch-düster gelungen und werden zudem von Johan Söderqvists zurückhaltend-eindringlichem Score großartig untermalt. Unter den durchweg überzeugenden DarstellerInnen ragt vor allem Monica Bleibtreu in ihrer letzten Rolle heraus, die als schuldbeladene Traudl mit ihren ständigen Tiraden die treibende Kraft des Films darstellt. Von den guten Darstellern und der stimmigen Atmosphäre abgesehen wirkt „Tannöd“ eher wie ein anklagendes Sittengemälde und nicht wie ein leider auch noch ungelöstes Krimi-Drama. 

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