Die Milchstraße

Der spanisch-mexikanische Filmemacher Luis Buñuel (1900-1983) wurde bereits als ältestes von sieben Kindern eines wohlhabenden Kaufmanns durch die rigide katholische und leibesfeindliche Erziehung einer Jesuitenschule geprägt, so dass er sich in seinem späteren filmischen Schaffen immer wieder kritisch mit religiösen Dogmen auseinandersetzte – am deutlichsten wohl in seinem 1969 erschienenen Werk „Die Milchstraße“, das nun erstmals auf Blu-ray exklusiv in der „Luis Buñuel Edition“ von Arthaus/StudioCanal erschienen ist.
Als die beiden Clochards Jean (Laurent Terzieff) und Pierre (Paul Frankeur) entlang der französischen Autoroute A10 von Paris aus den Jakobsweg ins spanische Santiago de Compostela pilgern, begegnet ihnen zunächst ein edel gekleideter Mann, der nur dem Geld gibt, der bereits welches besitzt, und die beiden dazu auffordert, an ihrem Ziel eine Prostituierte zu schwängern und den beiden Kindern bestimmte Namen zu geben. Doch das ist erst der Anfang einer abenteuerlichen Reise, die die beiden Pilger losgelöst von Raum und Zeit und dabei verschiedene Episoden der Auseinandersetzung zwischen dogmatischen und ketzerischen Positionen erleben.
Während seiner französischen Phase arbeitete Buñuel seit „Tagebuch einer Kammerzofe“ (1964) oft mit dem Drehbuchautoren Jean-Claude Carrière zusammen und kehrte dabei vermehrt zu den irrational geprägten Themen seiner surrealistischen Zeit zurück, die ihren Anfang mit dem zusammen mit Salvador Dalí realisierten „Ein andalusischer Hund“ (1929) genommen hatte. Während die Reise der beiden Pilger an sich linear erzählt werden, trifft dies auf die davon losgelösten, gelegentlich aber auch eingebetteten Episoden nicht zu. So wird aus Pierre in der Erinnerung an seine Mutter plötzlich Gottes Sohn, der mit seinen Jüngern durch das Land zieht und sich dafür rechtfertigen soll, warum er manche seiner gewirkten Wunder nicht öffentlich gemacht haben will, wie die Heilung von zwei blinden Männern. An anderer Stelle träumt Jean von der März-Revolution 1968 (bei der die Revolutionäre den von Buñuel gespielten Papst erschießen). Bei den Diskussionen, die die Anhänger verschiedener religiöser Traditionen mit Andersdenkenden und gar Ungläubigen führen, verwenden Carrière und Buñuel tatsächlich ausschließlich Auszüge aus offiziellen Schriften der Kirchengeschichte. Darin bringt Buñuel vor allem den Starrsinn zum Ausdruck, den die Verfechter der jeweiligen Theorien offenbaren und der an einer Stelle sogar in einem Duell gipfelt, an anderer Stelle baumeln aufgeknüpfte Leichen an den Bäumen nahe einer Kirche und demonstrieren so, wie die Kirchenväter immer wieder gewaltsam gegen Ketzer vorgegangen sind. Mal spielt sich das Geschehen in einem Internat ab, wo die beiden Pilger einer religiösen Theateraufführung beiwohnen, mal in den Kerkern des Marquis de Sade (Michel Piccoli). Die bissig-parodisierende Auseinandersetzung mit den sechs Mysterien des katholischen Glaubens überzeugt nicht nur durch die ungewöhnliche Umsetzung der kirchenkritischen Thematik, sondern auch durch die bei Buñuel immer wieder gelungene Vermischung der Grenzen zwischen Traum und Realität.
"Die Milchstraße" in der IMDb

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