Tagebuch einer Kammerzofe

Als wiederkehrendes Motiv in seinem Werk lässt sich bei Luis Buñuel vor allem die kritische Auseinandersetzung mit den erstarrten Konventionen des Bürgertums ausmachen. Das trifft in eingeschränktem Maße auch auf die erste Zusammenarbeit mit dem französischen Drehbuchautoren Jean-Claude Carrière zu, die sich 1964 des bereits 1946 von Jean Renoir adaptierten Romans „Tagebuch einer Kammerzofe“ von Octave Mirbeau angenommen haben. Der Film ist als Teil der „Luis Buñuel Edition“ von StudioCanal nun erstmals auf Blu-ray erhältlich.
Die aus Paris stammende Kammerzofe Céléstine (Jeanne Moreau) tritt ihre neue Stelle bei der Gutsbesitzerfamilie Monteil in der Normandie an, wo die naive junge Frau schnell zwischen alle Fronten gerät. In erster Linie soll Céléstine sich um den etwas sonderlichen Hausherren kümmern, dem sie nicht nur abends etwas vorlesen, sondern bei dieser Gelegenheit auch in Damenstiefelchen durch sein Zimmer gehen soll. Madame Monteil (Françoise Lugagne) entpuppt sich als frigide Frau, die den mehrmals in der Woche aufkeimenden lüsternen Begegnungen mit ihrem Mann (Michel Piccoli) mit Abscheu begegnet. Dieser wiederum macht sich an alle Frauen in seiner Nähe heran, an das unscheinbare Dienstmädchen ebenso wie natürlich an die attraktive Céléstine, die ihn aber nur auslacht und sich stattdessen mit den Nachbarn anfreundet, die wiederum auf Kriegsfuß mit den Monteils stehen.
Nach dem Tod des Hausherrn kündigt Céléstine ihre Stellung und will schon wieder nach Paris zurückkehren, als die Leiche der kleinen Claire im Wald aufgefunden wird. Da Céléstine den Verdacht hat, dass der faschistische Jäger Joseph (Georges Géret) für die abscheuliche Tat verantwortlich gewesen ist, will sie zur Aufklärung des Falls beitragen und manipuliert dafür sogar die Beweise …
Im Gegensatz zu seinen surrealistischen Anfängen seiner Filmkarriere präsentiert sich Buñuel in der Mirbeaus Romanadaption nahezu konventionell in der Inszenierung. Der Titel „Tagebuch einer Kammerzofe“ mag dabei etwas irritieren, weil es sich eben nicht um die Ich-Erzählung der von Moreau glänzend gespielten Kammerzofe handelt, obwohl sie im Zentrum der Geschichte steht. Buñuel und Carrière geht es eher darum, um Céléstine herum die dunklen Triebe des ländlichen Bürgertums zu entlarven, die sich stets im Verborgenen abspielen, ob im abgeschlossenen Zimmer des Hausherrn, in der Abgeschiedenheit eines Viehstalls oder Waldes. Was sich im Verborgenen abspielt, überlässt Buñuel ganz der Phantasie des Zuschauers. Nur die harmloseren Gelüste des alten Herrn führt er dem Zuschauer bildlich vor Augen.
Auf mehr oder weniger subtile Weise entlarvt Buñuel die bürgerliche Gesellschaft als degenerierte Menschen, die ihre verkorksten Gelüste ohne Rücksicht auf ihre Mitmenschen und Opfer ausleben. Wie sich die ebenso sorglose wie raffinierte Großstädterin an der Familie, in der sie lebt, rächt, ist wiederum herrlich amüsant, demonstriert allerdings auch, dass „Tagebuch einer Kammerzofe“ nicht so bissig daherkommt wie Buñuels späteren Meisterwerke „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ und „Belle de Jour“.
 "Tagebuch einer Kammerzofe" in der IMDb

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