Ehe der Morgen graut

Bevor Hammer Films nach dem Misserfolg von „Tödliche Botschaft“ (1979) Konkurs anmelden musste, war die britische Filmschmiede seit den 1930er Jahren für einige der schaurig-schönsten Horror-Filme verantwortlich, die ihren Erfolg der atmosphärisch-dichten Adaption klassischer Gruselgeschichten von „Dracula“, „Frankenstein“ und anderen Stoffen verdankten und Schauspieler wie Peter Cushing und Christopher Lee zu Stars machten. 1972 entstand mit „Ehe der Morgen graut“ ein sehr eigenwilliger Psycho-Thriller, bei dem „Charlie staubt Millionen ab“-Regisseur Peter Collinson sein einmaliges Hammer-Gastspiel gab und der jetzt im Rahmen der „Hammer Film Edition“-Box von StudioCanal erstmals in deutscher Sprache auf Blu-ray erhältlich ist.
Um ihren Traum von einem Kind zu verwirklichen, verlässt die unscheinbare Brenda Thompson (Rita Tushingham) ihre Mutter in Liverpool und zieht nach London, um einen Vater für ihr Baby zu finden. Sie findet einen Job in einer angesagten Mode-Boutique und ein Zimmer bei ihrer adretten Kollegin Caroline (Katya Wyeth), die sich ihre Männer nach Lust und Laune aussuchen kann. Entsprechend enttäuscht ist Brenda, die bislang vergeblich beliebige Männer einfach auf der Straße angesprochen hat, als sie sich auf einer von Carolines Partys mit ihrem gemeinsamen Kollegen Joey (James Bolam) anzufreunden beginnt, der allerdings dann mit Caroline ins Bett geht. Während ihres anschließenden Spaziergangs trifft die verheulte junge Frau auf den Mischlingshund Tinker, der dem attraktiven Peter (Shane Briant) gehört. Statt ihm dem Hund direkt auszuhändigen, als er nach ihm ruft, nimmt sie Tinker nach Hause, badet ihn und macht ihn hübsch, um ihn am nächsten Tag ihrem rechtmäßigen Besitzer zu übergeben und ihn so kennenlernen zu können.
Tatsächlich macht Peter ihr das Angebot, zu ihm zu ziehen und ihm dafür den Haushalt zu machen. Für Brenda scheint damit endlich ein Traum in Erfüllung zu gehen, aber sie ahnt nicht, welch dunkles Geheimnis Peter umgibt …
Collinson nimmt sich viel Zeit, die beiden Hauptfiguren in seinem Film zu charakterisieren. In oft sehr plötzlichen Szenenwechseln stellt er jeweils Brenda und Peter in ihrem jeweiligen Lebenskontext vor. Während Brenda, die sich gern Märchen von einer Prinzessin ausdenkt, nur von dem Wunsch getrieben ist, trotz ihres unvorteilhaften Aussehens einen Mann zu finden und mit ihm ein Kind zu zeugen, lebt Peter ebenfalls in einer Fantasiewelt, die von der Geschichte Peter Pans geprägt ist, weshalb er Brenda auch vorzugsweise Wendy nennt.
Während Brendas Motivation von Beginn an deutlich gemacht wird, kristallisiert sich Peters krankhaftes Verhältnis zum anderen Geschlecht erst nach und nach heraus. Für heutige Verhältnisse nimmt sich Collinson dafür ungewöhnlich viel Zeit. Er scheint weniger ein Interesse daran zu haben, Spannung zu erzeugen, als das Lebensgefühl der frühen 1970er Jahre einzufangen – was ihm übrigens ausgezeichnet gelingt. Wer sich auf die behutsame Entwicklung der Geschichte einlassen mag, wird mit einem ungewöhnlichen Thriller-Drama belohnt, dessen Twist nicht ganz überzeugen kann, das aber letztlich eine ungewöhnliche Liebesgeschichte in einem gut beobachteten Milieu präsentiert. 
"Ehe der Morgen graut" in der IMDb

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