Der Vorname

Als der deutsche Aphoristiker Wilhelm Schwöbel schrieb, dass man am Vornamen der Kinder den Geist der Eltern erkennen würde, hat er selten wie zuvor den heutigen Zeitgeist getroffen. Kaum ein Vertreter des Bildungsbürgertums wird heute vor dem (Vor-)Urteil gefeit sein, wie sich ein Kevin, Jason oder Justin, eine Chantal, Jeanette oder Jacqueline in der Schule und im Leben machen wird. Im Jahre 2000 gingen die beiden Franzosen Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte der Frage nach, wie ein Kind, das man im frühen 21. Jahrhundert Adolf nennt, von der Gesellschaft aufgenommen würde, und feierten mit ihrem Theaterstück „Le Prénom“ große Erfolge, so dass 2012 eine ebenso vergnügliche Kinoadaption folgte. Sönke Wortmann („Der bewegte Mann“, „Das Wunder von Bern“) bringt nun mit „Der Vorname“ eine deutsche Variante ins Spiel, die sich vor dem französischen Original nicht zu verstecken braucht.
Der promintente Literaturprofessor Stephan (Christoph Maria Herbst) und seine Frau, die engagierte gymnasiale Deutschlehrerin Elisabeth (Caroline Peters), laden zum Abendessen in ihrem Bonner Eigenheim. Während Elisabeth in der Küche ein mehrgängiges indisches Menü vorbereitet, ruft nicht nur ihre kiffende Mama Dorothea (Iris Berben) aus ihrer Selbstverwirklichungs-Exil an, sondern treffen nach und nach die geladenen Familien-Mitglieder ein, Elisabeths Kindheitsfreund René (Justus von Dohnányi), ihr Bruder Thomas (Florian David Fitz) und dessen schwangere Freundin Anna (Janina Uhse), die nach wegen eines Castings aber erst zur Runde stößt, als sich die Gemüter längst über den Namen erhitzt haben, den Thomas und Anna ihrem Kind geben wollen: Adolf. Während Stephan sich darüber echauffiert, dass das Kind den Namen des weltgrößten Massenmörders tragen soll, sieht Thomas seinen Jungen als neuen Mahatma Gandhi, der aktiv gegen die Schrecken kämpfen wird, für die sein Namensvetter steht. Doch nachdem sich der Streit über das Für und Wider des diskutierwürdigen Namens gelegt hat, treten noch andere Familiengeheimnisse ans weingetränkte Licht des Abends und sorgen für neuen Zündstoff …
Es sind schon interessante Persönlichkeiten und Konstellationen, die Sönke Wortmann in „Der Vorname“ zusammenstellt. Hier die akademischen Gastgeber, die in ihren Lehrtätigkeiten an höheren Bildungsstätten voll aufgehen, dort der Schulversager Thomas, den Stephan immer gern wegen seiner mangelnden Allgemeinbildung aufzieht, der aber als erfolgreicher Immobilien-Makler locker das Dreifache verdient als der Professor. Stephans Frau Elisabeth ist zunächst viel zu sehr mit der Zubereitung des umfangreichen Mahls beschäftigt, um sich in die Diskussion um den Vornamen einzubringen, auch der Klarinettist René hält sich meist vornehm zurück.
Geschickt spielt Wortmann hier mit den Klischees, die mit den Intellektuellen, Neureichen und Künstlern in Verbindung gebracht werden, überhöht einzelne Charakterzüge wie Stephans Knauserigkeit gleich zu Beginn, als er einen Pizzaboten wegen der überhöhten Preise abblitzen lässt, schießt mit seinen scharfzüngigem Witz aber nie über das Ziel hinaus. Stattdessen schaukeln sich die Emotionen aller Beteiligten über die Wahl eines Vornamens soweit hoch, dass noch andere verborgene Geschichten und Eindrücke zur Sprache kommen.
Dass dieser nahezu pausenlose virtuose Schlagabtausch mit seinen bissigen Kommentaren zur Selbstgefälligkeit in den geschilderten Milieus bis zum Schluss so gut funktioniert, ist nicht nur dem Drehbuch mit seinen pointierten Dialogen geschuldet, sondern auch den wirklich großartigen Schauspielern, die ihre jeweiligen Rollen perfekt ausfüllen.
"Der Vorname" in der IMDb

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