Die Hölle von Henri-Georges Clouzot

Es sollte sein ehrgeizigstes, ambitioniertestes Projekt werden, doch der französische Filmemacher Henri-Georges Clouzot (1907-1977), der in den 40er und 50er Jahren mit Werken wie „Der Rabe“, „Unter falschem Verdacht“ und „Lohn der Angst“ bis heute hochgeschätzte Filmkunstwerke schuf, konnte den 1964 begonnenen Film „Die Hölle“ nie beenden. Nachdem der erste Drehbuchautor wegen eines Herzinfarktes ausfiel, wurde auch der männliche Hauptdarsteller Serge Reggiani ins Krankenhaus eingeliefert und kehrte nicht mehr zum Set zurück. 
Jean-Louis Trintignant sollte ihn ersetzen, kehrte dem Projekt aber schnell den Rücken zu, ohne eine Szene gedreht zu haben. Schließlich erlitt auch Clouzot selbst einen Herzinfarkt, worauf die Versicherungsgesellschaft einen Schlussstrich zog, die Produktionsfirma Orsay Films Konkurs anmeldete und die mehr als 15 Stunden belichtetes Filmmaterial in 183 Filmbüchsen aus rechtlichen Gründen im Staatlichen Filmarchiv in Bois d'Arcy eingelagert wurden. 
Im Jahre 2005 durfte Serge Bromberg jedoch das Material sichten und in Form seines höchst aufschlussreichen Dokumentarfilms „Die Hölle von Henri-Georges Clouzot“ erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Clouzot beabsichtigte mit „Die Hölle“ das Kino neu zu erfinden. Inspiriert wurde er von Fellinis „8 ½“ und der kinetischen Kunst eines Victor Vasarely. Mit einer neuartigen Film- und Klangsprache wollte er dem Publikum bislang schwer visualisierbaren Wahnvorstellungen seines Protagonisten präsentieren. 
Erzählt wird die Geschichte des Hotelbesitzers Marcel (Serge Reggiani), der eifersüchtig über seine schöne Frau Odette (Romy Schneider) wacht, mit der er erst kurz verheiratet ist. Vor allem ihre Treffen mit dem stadtbekannten Gigolo Martineau (Jean-Claude Bercq) treiben ihn zur Weißglut und rufen psychotische Wahnvorstellungen hervor, denen Odette mit Genuss zusätzliche Nahrung gibt, indem sie sich auch auf die bisexuelle Marylou (Dany Carrel) einlässt. 
Die Regisseure Serge Bromberg und Ruxandra Medrea haben sich die Mühe gemacht, das abgedrehte Material für ihre Dokumentation nicht nur zusammenzustellen, sondern noch fehlende Dialoge zwischen Marcel und Odette durch neue Schauspieler (Bérénice Bejo und Jacques Gamblin) nachspielen zu lassen und etliche an den Dreharbeiten beteiligte Kameraassistenten, Setdesigner und Künstler zu Wort kommen zu lassen. 
So bietet der Film einen aufschlussreichen Einblick in die komplizierte Entstehung eines Films und seines kläglichen Scheiterns. Faszinierend sind nicht nur die von drei Kamerateams eingefangenen Bilder, die noch eher klassischen Erzählstrukturen folgen, sondern auch die vielen Probeaufnahmen gerade der kinetischen Bilderkunst, der visuellen und elektroakustischen Experimente, die einen guten Eindruck davon vermitteln, was aus dem Film hätte werden können, wenn er tatsächlich fertiggestellt worden wäre. 
Gerade für die 24-jährige Romy Schneider, die mit „Die Hölle“ ihr niedliches „Sissi“-Image hätte ablegen können, präsentierte sich so aufreizend und sinnlich wie nie zuvor. Der Dokumentarfilm zeigt auf, dass das unbeschränkte Budget nicht für aufwendige Kulissen oder unzählige Darsteller verwendet wurde, sondern vor allem für das Experimentieren mit neuen Ausdrucksformen. Während das tatsächliche Geschehen in Schwarz-Weiß gedreht wurde, schillern Marcels Wahnvorstellungen in den buntesten Farben und vielen verfremdenden Effekten. Das alles ist immer wieder so minutiös vorbereitet gewesen, dass sich Clouzot von der Nouvelle Vague vorwerfen lassen musste, nicht mehr zu improvisieren. 
„Die Hölle von Henri-Georges Clouzot“ stellt ein bemerkenswertes Dokument eines außergewöhnlichen kreativen Prozesses dar und bietet Cineasten einen unschätzbaren Einblick in das Schaffen des 1977 verstorbenen Meisterregisseurs. 

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