Sleepers

Auch wenn die Lebensumstände im New Yorker Arbeiterviertel Hell's Kitchen hart sind, haben es sich im Jahre 1966 die vier jugendlichen Freunde John (Geoffrey Wigdor), Shakes (Joseph Perrino), Tommy (Jonathan Tucker) und Michael (Brad Renfro) gut eingerichtet. Auf der einen Seite engagieren sie sich als Messdiener in der Kirche von Pater Bobby (Robert de Niro), der sich vorbildlich um seine jungen Schützlinge kümmert. Auf der anderen Seite verdienen sie bei Mafiaboss King Benny (Vittorio Gassman) als Botenjungen für Schmiergelder ihr Taschengeld. 
Doch das unbeschwerte Leben ändert sich unversehens, als die vier Freunde die Kontrolle über einen gestohlenen Hot-Dog-Wagen verlieren und dieser die Treppen einer U-Bahn-Treppe herunterpoltert, an deren Ende er einen Mann schwer verletzt. Die Jungs werden zu 12 bis 18 Monaten Aufenthalt im Jugenderziehungsheim Wilkinson Reform School verurteilt, wo sie auch regelmäßig Besuch von ihrem engagierten Pater bekommen. Doch keiner der Jungen mag ihm anvertrauen, welche Schikanen sie unter dem brutalen Wachpersonal zu erleiden haben, vor allem unter Nokes (Kevin Bacon), der die Jungs mit seinen Kollegen regelmäßig schlägt und vergewaltigt. Der Aufenthalt in dem Erziehungsheim verändert das Leben der vier jungen Männer für immer. 
Lorenzo (Jason Patric), dessen Lieblingsbuch immer "Der Graf von Monte Christo" gewesen ist, weil sich der Graf nie hat unterkriegen lassen und so beharrlich seiner Rache nachgehen konnte, arbeitet 1981 bei der New York Daily News, Michael (Brad Pitt) hat es immerhin zum Staatsanwalt gebracht, während Tommy (Billy Crudup) und John (Ron Eldard) eine kriminelle Karriere eingeschlagen haben, Alkohol und Drogen konsumieren und auch vor Mord nicht zurückschrecken. Als sie in einer Kneipe ihren Peiniger Nokes beim Essen wiedererkennen, richten sie ihn vor Zeugen regelrecht hin. Michael vertritt in dem Fall zwar die Anklage, verfolgt aber einen raffinierten Plan, wie er seine Freunde vor einer Verurteilung wegen Mordes bewahren kann. 
Während King Benny den abgehalfterten und alkoholsüchtigen Rechtsanwalt Danny Snyder (Dustin Hoffman) für die Angeklagten anheuert, besorgt Johns Freundin Carol (Minnie Driver) als Sozialarbeiterin wichtige Unterlagen über Nokes Mittäter in Wilkinson, so dass diese ebenso wenig wie Nokes davonkommen. So elegant Michael seine Zeugen durch Snyder auseinandernehmen lässt, fehlt ihm doch jemand, der seinen Freunden ein Alibi besorgen kann. Hier kommt Pater Bobby ins Spiel, der sich überlegen muss, ob er für seine Jungs einen Meineid auf die Bibel schwören kann. 
Barry Levinson („Rain Man“, „Bugsy“, „Banditen“) verfilmte 1996 den autobiographischen Roman von Lorenzo Carcaterra, der deshalb so kontrovers diskutiert wurde, weil die öffentlichen Behörden die in dem Roman erhobenen Vorwürfe heftig dementierten. Doch ungeachtet des Wahrheitsgehaltes der Geschichte entfaltet Levinson in dem zweieinhalbstündigen „Sleepers“ zunächst ein starkes Drama, in dem die Freundschaft der Jungen aus der Perspektive des Ich-Erzählers Lorenzo eindrucksvoll entfaltet wird. Aber auch der Aufenthalt der Jungen in der Besserungsanstalt hat Michael Ballhaus („GoodFellas“, „Gangs Of New York“, „Departed“) in grandiosen Bildern eingefangen, wobei das in Schwarz-Weiß und Zeitlupe gedrehte Rugby-Spiel zwischen den Wärtern und den Inhaftierten ebenso eindringlich festgehalten wurde wie die nur angedeuteten Vergewaltigungen im Kellergeschoss von Wilkinson. 
Etwas Kraft verliert das Drama im letzten Drittel, als in bester Grisham-Manier ein abgekartetes Spiel vor Gericht zelebriert wird, das aber nicht nur jeder wirklichen Spannung entbehrt, sondern auch die eingangs so gefühlvollen Charakterisierungen der Protagonisten aus den Augen verliert. Moralisch bedenklich ist natürlich darüber hinaus die offene Verteidigung der Selbstjustiz, und leider wird das moralische Dilemma, das Pater Bobby für sich auszufechten hat, überhaupt nicht thematisiert. 
Von diesen Schwächen abgesehen ist „Sleepers“ aber ein packendes Drama geworden, das souverän zwischen Jugendportrait, Gerichts-Drama und Mafia-Thriller jongliert, zu dem Meisterkomponist John Williams („Star Wars“, „Der weiße Hai“) einen angenehm zurückhaltenden Score beigesteuert hat. Nach seinen letzten großen Rollen in „Legenden der Leidenschaft“, „Interview With The Vampire“ (beide 1994), „12 Monkeys“ und „Sieben“ (beide 1995) spielt Brad Pitt den gewieften Staatsanwalt eher unauffällig. Eindrucksvoller sind da die Darstellungen von Kevin Bacon als skrupellos fieser Wächter, Brad Renfro als junger Michael, Dustin Hoffman als leicht verwirrt wirkender, doch starker Anwalt und Robert de Niro als väterlicher Geistlicher. 
Levinson verweigert sich eines Urteils über Rache und Selbstjustiz angesichts der gesellschaftlichen Verfehlungen, die die Angeklagten überhaupt vor Gericht geführt haben. Hier bleibt es dem Zuschauer überlassen, sein eigenes Urteil zu fällen. 

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