Fahrenheit 451

Dass der amerikanische Schriftsteller Ray Bradbury nicht nur ein begnadeter Krimi-, Horror- und Kurzgeschichten-Autor ist, sondern auch dem Science-Fiction-Genre meisterhafte Erzählungen beigesteuert hat, lässt sich am einfachsten an seinen verfilmten Werken „Der illustrierte Mann“, „Die Mars-Chroniken“ und natürlich „Fahrenheit 451“ nachvollziehen. Der französische Ausnahmeregisseur François Truffaut hat sich 1966 des 1953 von Bradbury veröffentlichten Romans angenommen und mit Oskar Werner und Julie Christie in den Hauptrollen seinen einzigen nicht-französischen Film realisiert.
In einer unbestimmten Zeit hat sich die Aufgabe der Feuerwehr in ihr Gegenteil verkehrt. Statt Feuer zu löschen rücken die Männer in ihren dunklen Uniformen nur noch aus, um Bücher in Brand zu stecken. Es wird gemeinhin die Meinung vertreten, dass Bücher nicht gut für den Menschen seien, dass die darin verbreiteten Gedanken und Geschichten nichts mit der Wirklichkeit zu tun hätten und den Menschen nur unglücklich machen würden. Allgemeines Glück kann nur erreicht werden, wenn jeder gleich ist. Montag (Oskar Werner) ist seit fünf Jahren bei der Truppe und hat seinen Dienst bislang dermaßen gewissenhaft ausgeübt, dass ihm eine Beförderung bevorsteht. Montags Frau Linda (Julie Christie) nimmt diese Neuigkeit fast teilnahmslos zur Kenntnis, schließlich verbringt sie ihren Alltag mit Drogen vollgepumpt in ihrer recht trostlosen Wohnung und ergötzt sich – gelegentlich mit ihren im Grunde austauschbaren Freundinnen - an der interaktiven Fernsehserie „Die Familie“ oder verfolgt das propagandistische Staatsfernsehen, das den Kampf gegen die verbotenen Bücher und jede individualistische Neigung „dokumentiert“, indem inszenierte Verfolgungsjagden und Exekutionen präsentiert werden.
Montag ist deshalb bei seinem Captain (Cyril Cusack) so beliebt, weil er so wenig redet und damit den idealen Bürger darstellt, der nur seine Funktion in der Gesellschaft erfüllt und keine eigenen Gedanken zum Ausdruck bringt. Doch Montags gleichmütiges Naturell wird aufgerüttelt, als er in der Schwebebahn von seiner Clarisse (ebenfalls Julie Christie) angesprochen wird, die als Lehrerin arbeitet, aber nach einer Befragung durch die Kommission ihren Job nicht weiter ausüben darf. Als sie Montag gegenüber ihr Unverständnis zum Ausdruck bringt, wie er so einer Arbeit nachgehen kann, und ihn fragt, ob er auch die Bücher lese, die er verbrennt, beginnt Montag, genau dies zu tun. Er fängt stockend mit Charles Dickens‘ „David Copperfield“ an und nimmt während seiner Arbeitseinsätze immer wieder ein paar ausgewählte Bücher mit nach Hause, was bei seiner Frau auf völliges Unverständnis stößt. Doch je mehr sich Montag auf die verbotene Bücherwelt einlässt, umso mehr gefährdet er seine eigene Existenz …
Schon der Vorspann in Truffauts Film sorgt für Irritation. Statt wie üblich die Credits der Filmschaffenden einzublenden, lässt Truffaut die Namen der Hauptdarsteller Oskar Werner und Julie Christie, des Komponisten Bernard Herrmann und des Regisseurs François Truffaut einfach von einer weiblichen Stimme aus dem Off vorlesen. Es ist so einiges anders in dieser Welt, die uns Trufffaut hier präsentiert. Die Vergangenheit existiert nur noch in Büchern, die es auszumerzen gilt, aber schon nicht mehr in den Erinnerungen der gleichgeschalteten Menschen. Die Feuerwehr steht hier stellvertretend für eine Orwellsche Gedankenpolizei, die die öffentlichen Straßen und Plätze nach gesellschaftlich Andersartigen und Verdächtigen absucht und kontrolliert. Jeder Anflug von Individualität wird umgehend geächtet.
Truffauts dystopischer Film rechnet wie Bradburys brillante Romanvorlage gnadenlos mit totalitären Systemen ab, in der die Literatur stellvertretend für die letzte Bastion gegen Gleichschaltung und Monotonie steht. Dass es trotz all dieser reglementierten Einschüchterungsmechanismen doch immer wieder Menschen gibt, die sich gegen diese politischen Deformationen wehren, zählt zu den Hoffnung bewahrenden Aussagen von „Fahrenheit 451“.
Das stimmige Zusammenspiel zwischen Oskar Werner („Jules und Jim“) und Julie Christie („Wenn die Gondeln Trauer tragen“), der eindringliche Score von Alfred Hitchcocks Stammkomponisten Bernard Herrmann („Psycho“, „Vertigo“) und die trostlose Architektur machen den Film auch jenseits seiner nachdenklich stimmenden Aussage zu einem cineastischen Leckerbissen.
"Fahrenheit 451" in der IMDb

Kommentare

Beliebte Posts